Thomas Perterer, Geschäftsführer Lhoist Germany, zusammen mit Prof. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, und Gilles Le Van, Vice-President Large Industries and Energy Transition Central Europe Air Liquide, im Lhoist-Kalkwerk Flandersbach in Wülfrath (v.l.) Foto: Lhoist Germany
Thomas Perterer, Geschäftsführer Lhoist Germany, zusammen mit Prof. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, und Gilles Le Van, Vice-President Large Industries and Energy Transition Central Europe Air Liquide, im Lhoist-Kalkwerk Flandersbach in Wülfrath (v.l.) Foto: Lhoist Germany

Wülfrath. Der Kalkhersteller Lhoist und Air Liquide, ein Weltmarktführer für Gase und Services für Industrie und Gesundheit, wollen Kohlendioxid (CO2) einfangen. So soll das größte Kalkwerk Europas im nordrhein-westfälischen Wülfrath schon in wenigen Jahren hunderttausende Tonnen weniger CO2 ausstoßen. Eine Machbarkeitsstudie, unterstützt vom Land Nordrhein-Westfalen, soll nun die Potenziale untersuchen. Wirtschaftsminister Pinkwart hatte hierzu das Lhoist-Werk „Flandersbach“ besucht und sich die Möglichkeiten erläutern lassen.

Im ersten Schritt wollen Lhoist und Air Liquide mehr als eine halbe Million Tonnen CO2 pro Jahr einfangen und so daran hindern, in die Atmosphäre zu gelangen. Die Menge entspricht in etwa dem durchschnittlichen CO2-Fußabdruck von gut 60.000 Menschen in Deutschland. „Wir möchten vor allem zwei Ziele erreichen“, erklärt Thomas Perterer, Geschäftsführer von Lhoist Germany. „Wir möchten schnell sein und schon im ersten Schritt eine erhebliche Menge CO2 binden. Nur so können wir unserem Anspruch als Marktführer und unserer Verantwortung als großer CO2-Emittent gerecht werden. Nur eine klimaneutrale Industrie ist auch zukunftsfähig.“

Nachdem Lhoist bereits seinen gesamten Strombedarf in Deutschland auf erneuerbare Energien umgestellt hat, sollen jetzt die großen Brocken auf dem Weg zur Klimaneutralität mit Nachdruck angegangen werden, sagt Perterer. Entsprechend erfreut zeigt sich der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart bei seinem heutigen Besuch.

Pinkwart hatte Ende 2021 die Kohlenstoffstrategie der Landesregierung vorgestellt: „Damit unser Industrieland Nordrhein-Westfalen auch in der klimaneutralen Zukunft wettbewerbsfähig bleibt, müssen wir die Unternehmen und ihre vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Weg dorthin mitnehmen. Mit der bundesweit ersten Kohlenstoffstrategie haben wir im letzten Jahr konkrete Vorschläge für eine nachhaltige Kohlenstoffwirtschaft von morgen gemacht. Es freut mich sehr zu sehen, dass Unternehmen wie Lhoist und Air Liquide beim klimafreundlichen Umbau vorangehen und CO2-Management in der Praxis umsetzen.“

Lhoist hat die Herausforderung zu bewältigen, dass bei der Kalkproduktion durch energieintensive Brennprozesse in großen Industrieöfen viel CO2 entsteht. Daher sollen die derzeit noch verwendeten fossilen Brennstoffe wie Kohle und Gas in naher Zukunft Schritt für Schritt durch klimafreundlichere Brennstoffe ersetzt werden. Darüber hinaus entweicht beim sogenannten „Kalkbrennen“ CO2, das im Kalkstein natürlich gebunden ist. Durch einen Wechsel der Brennstoffe oder noch modernere Öfen können somit nicht alle CO2-Emissionen vollständig vermieden werden, obwohl schon diese Maßnahmen Investitionen in Millionenhöhe erfordern, sagt Geschäftsführer Perterer.

Technologie: CO2 aus dem Kalkstein einfangen und verflüssigen

Hier setzt die Technologie von Air Liquide an, erläutert Gilles Le Van, Vice-President Large Industries and Energy Transition Central Europe: „Mit unserer erprobten und bewährten Technologie können wir das CO2 aus dem Kalkstein einfangen und verflüssigen, damit es nicht in die Atmosphäre gelangt. Das nennt sich CO2-Abscheidung. Danach kann das flüssige CO2 transportiert, wiederwendet oder gespeichert werden.“ Air Liquide habe langjährige Erfahrung im Umgang mit CO2, betont Le Van. Der Ansatz des Unternehmens gehe daher auch über die Abscheideanlagen hinaus: „Wir streben mit dem Aufbau eines CO2-Hub in Duisburg einen Umschlagplatz für CO2 in NRW an. So können die industriellen Zentren in Nordrhein-Westfalen per Bahn, Schiff und Fernleitungen miteinander und mit dem Hafen von Rotterdam verbunden werden.“

Das entspricht auch der Vorstellung des Wirtschaftsministers. „Kohlenstoff wird auch in Zukunft für viele industrielle Prozesse benötigt. Umso wichtiger werden nachhaltige Stoffkreisläufe im Sinne der Circular Economy sein: Sie können Kohlenstoff langfristig binden, damit er nicht in die Atmosphäre gelangt. Dennoch müssen wir uns in letzter Konsequenz die Frage stellen, wie wir unvermeidbare CO2-Emissionen, vor allem aus der Industrie, abscheiden und speichern können“, so Pinkwart.

Hier setzt die vom Land unterstützte Machbarkeitsstudie der beiden Unternehmen an. Die Studie soll untersuchen, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, wie hoch die benötigten Investitionen sind und unter welchen Bedingungen der ganze Prozess wirtschaftlich umgesetzt werden kann. Die beiden Unternehmen gehen von notwendigen „Klimainvestitionen im dreistelligen Millionenbereich“ aus, wie Perterer und Le Van betonen. Da sei zum einen die Errichtung der Anlage zur CO2-Abscheidung im industriellen Maßstab. Darüber hinaus müsse aber auch eine Infrastruktur für den Transport des CO2 geschaffen werden. Zu Beginn sei dies mit speziellen Waggons über den betriebseigenen Bahnanschluss möglich. Die Kohlenstoffstrategie des Landes Nordrhein-Westfalen geht davon aus, dass für noch größere Mengen CO2 später Lastkähne, Schiffe und Fernleitungen genutzt werden.

Die Politik müsse aber noch einige Weichen stellen, fordert Perterer: „Wir stehen als Industrie in den Startlöchern. Nordrhein-Westfalen kann sich hier als klimafreundliche Industrieregion neu erfinden. Aber die Rahmenbedingungen lassen ein Projekt in dieser Größenordnung eigentlich heute noch nicht zu. Daher ist die Unterstützung durch Minister Pinkwart und die Landesregierung sehr willkommen.“ Das sieht auch Gilles Le Van so, er ergänzt: „Wenn wir wirksamen Klimaschutz erreichen wollen, müssen Politik und Industrie eng zusammenarbeiten. Wir begrüßen die Kohlenstoffstrategie des Landes daher ausdrücklich. Wichtig ist, dass jetzt gehandelt wird, um die nötige Infrastruktur aufzubauen.“

Dass solch eine skizzierte Infrastruktur nötig wird, daran haben Perterer und Le Van keinen Zweifel. Denn allein schon die nordrhein-westfälische Chemie-Industrie habe gemäß Szenarien der Kohlenstoffstrategie einen Bedarf von bis zu 50 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2045. Zwei Millionen davon könnten perspektivisch aus dem Kalkwerk Flandersbach zur Verfügung gestellt werden.