Eine Aufnahme von Hans Kramarz als Häftling im US-CIC-Camp Moosburg. Bildrechte: Sammlung Volkmar Kramarz
Eine Aufnahme von Hans Kramarz als Häftling im US-CIC-Camp Moosburg. Bildrechte: Sammlung Volkmar Kramarz

Ratingen: „Eine großartige Publikation. Ein kleiner Recherche-Krimi, im Ergebnis ein gelungenes Panorama der Epoche. Chapeau!“ Mit diesen Worten der Begeisterung kommentiert Schlesien-Experte Thomas Urban, langjähriger Osteuropa-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und selbst Buchautor die neuste Publikation der Stiftung Haus Oberschlesien in Kooperation mit dem Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit (Gleiwitz/Oppeln).

Eine „vergessene“ Blechbox mit 150 alten Dias aus dem Jahr 1956, wurde zum Auslöser eines Recherchekrimis, der seinen Spannungsbogen über sechs Jahrzehnte durch Ost und West zieht. Eigentlich sollte aus den dokumentarischen Aufnahmen einer Reise durch Oberschlesischen „nur“ ein interessanter Bildband gestaltet werden, aber die Biografie des Fotografen aus Bonn-Beuel schrie förmlich nach einer Aufarbeitung.

„Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise“, so der Titel der Publikation, entführt den Leser in einem alten Opel Kapitän, auf eine Fahrt über holprige Straßen eines vergessenen aber spannenden Kapitels der polnischen Nachkriegsgeschichte.

Neben dem populärwissenschaftlichen Teil mit seiner Biografie, haben die beiden polnischen Historiker Dziuba und Tracz in ihren Beiträgen die politische Landschaft im Polen des Jahres 1956 aufleben lassen. Umfangreiche Beschreibungen der Bilder runden ein in seiner Gesamtheit außergewöhnliches Buch ab. „Die Fotografien von Dr. Hans Kramarz aus seiner Reise durch Oberschlesien unter Einbezug von Breslau und Krakau im Jahr 1956 stellen ein einzigartiges zeithistorisches Zeugnis dar“, so der polnische Historiker Bogusław Tracz.

„Sie versetzen uns in eine heute sehr ferne, damals aber allgegenwärtige Nachkriegsrealität zurück, als noch Ruinen neben den neu errichteten Wohnblocks und Mietshäusern standen und die alteingesessenen Einwohner neben den Neuankömmlingen lebten, die sich nicht selten aufführten, als seien sie die Hausherren“, so der Historiker weiter. Dieses neue polnische Oberschlesien befinde sich noch immer im in statu nescendi, so Tracz. Das Alte koexistiere mit dem Neuen und die Vergangenheit treffe auf die Gegenwart des Kommunistischen Polens von 1956.

Doch zu einer Art „Krimi“ macht das Buch der Lebenslauf des Fotografen. Geboren 1909 im oberschlesischen Radzionkau, gestaltete der Lehrersohn Hans Kramarz sein Leben im Rahmen seiner jeweiligen politischen Realitäten: Radikalisiert durch die Reichswehr im geteilten Oberschlesien, Jurastudium, frühes NSDAP-Mitglied, SA-Obersturmführer, Stationen in der Dienststelle Ribbentrop, im Auswärtigen Amt, im Führerhauptquartier und bei der Bandenbekämpfung in Montenegro.

Nach Kriegsende Internierung als „Insasse“ 9427 im US-CIC-Camp Moosburg, erste Kontakte mit der CIA, Mitarbeiter der Organisation Gehlen bzw. des BND. Daneben Familienleben mit sechs Kindern in Beuel, Jurist beim Roten Kreuz und Kulturreferent bei der Landsmannschaft der Oberschlesier. Die Welt der Geheimdienste und der per Radio übertragenen Zahlencodes wurde für den leidenschaftlichen Fotografen und „Ostspezialisten“ Kramarz zu einer neuen Lebensaufgabe. Sich als kultureller Mittler zwischen dem alten und dem neuen Oberschlesien verstehend, fanden seine zahllosen Diavorträge über Jahrzehnte stets gebannte Gäste.

Der Entdecker des Materials ist Marton Szigeti, Archivleiter beim Oberschlesischen Landesmuseum in Ratingen-Hösel. „Gemeinsam mit Kramarz‘ Sohn Volkmar, konnte nicht nur ein Stück oberschlesischer und nordrhein-westfälischer Zeitgeschichte aufgearbeitet, sondern auch gleichzeitig seine Familiengeschichte, mit all ihren Schatten, bewältigt werden.“ Auch Stiftungsvorsitzender Sebastian Wladarz zeigt sich zufrieden: „Ich danke dem Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit und dem Kulturreferat für Oberschlesien für diese Zusammenarbeit. Ich freue mich, dass wir dadurch unser Archivmaterial dem polnischen Publikum zugänglich machen können, zumal uns versichert wurde, dass solche Aufnahmen in polnischen Archiven nicht existieren, denn eigentlich waren solche Fotos zu dieser Zeit verboten. Auf der anderen Seite arbeiten wir einen Lebenslauf auf, wie er in der Nachkriegsrepublik nicht selten war. Zur Ehrlichkeit und Transparenz gehört es, eine solche Aufarbeitung nicht zu scheuen.“

Mit dem Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit sei auch eine Präsentation in Polen geplant. Das Projekt wurde finanziert durch das Konsulat der Bundesrepublik Deutschland in Oppeln.