Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst spricht bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst spricht bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf. Foto: David Young/dpa

Düsseldorf (dpa/lnw) – Angesichts der zunehmenden Judenfeindlichkeit verstärkt die nordrhein-westfälische Landesregierung den Kampf gegen Antisemitismus und zugleich den Schutz jüdischer Einrichtungen. Das Land stockt unter anderem die Mittel für bauliche Sicherungsmaßnahmen an Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen um zusätzlich 11,5 Millionen Euro auf, wie Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Mittwoch in Düsseldorf sagte. In einem vom Kabinett beschlossenen Zehn-Punkte-Plan sind außerdem zahlreiche Maßnahmen zur Prävention und Aufklärung in Schulen verankert.

Kein Antisemitismus auf den Straßen

Um mögliche antisemitische und islamistische Kennzeichen und Parolen etwa bei propalästinensischen Demonstrationen besser erkennen zu können, sollen Richter und Staatsanwälte gezielt fortgebildet werden. Schon jetzt würden auch Polizisten und Polizistinnen bei Demonstrationen durch Übersetzer unterstützt, sagte Wüst. Zudem setzten die Behörden verstärkt auf islamwissenschaftliche Kompetenz.

Aber auch Staatsanwaltschaften und Gerichte müssten entsprechende Instrumente zur Hand haben. «Wer Hass auf Israel oder Jüdinnen und Juden in unsere Gesellschaft trägt, der wird die ganze Härte des Rechtsstaats zu spüren bekommen», sagte Wüst. Das Land werde alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, um antisemitische Demonstrationen zu verbieten. «Meinungsfreiheit endet, wo Hass und Antisemitismus beginnen», sagte der Regierungschef. «Es ist völlig inakzeptabel, dass Islamisten auf den Straßen unseres Landes für ihre Ziele werben und ein Kalifat fordern.» Es sei auch völlig inakzeptabel, wenn auf den Straßen Deutschlands Juden beschimpft und die Grausamkeiten der Hamas bejubelt würden.

Angesichts der Vereinsverbote von Hamas und Samidoun in Deutschland müsse auch geprüft werden, ob es «Ausweichbewegungen» gebe. «Ich glaube, wir sind noch nicht am Ende, was das Verbot von solchen Organisationen angeht», sagte Wüst.

Prävention in Schulen

In den Schulen soll ein Meldesystem etabliert werden, um herauszufinden, ob und wo es antisemitische Schwerpunkte im Schulsystem gibt. Zuvor hatte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) im Schulausschuss weitere Maßnahmen zum Ausbau der Demokratiekompetenz und Wertevermittlung an den Schulen in NRW angekündigt. Nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober hatte das Schulministerium den Lehrkräften bereits weiteres Informationsmaterial zur Verfügung gestellt und auch Online-Seminare angeboten.

Eine aktuelle Umfrage des WDR kommt zu dem Ergebnis, dass rechtsextreme Inhalte wie Hitler-Bilder, antisemitische Sticker oder rassistische Memes in Klassenchats an Hunderten Schulen bekannt geworden sind. An der nicht repräsentativen Umfrage hatten Schulleitungen von 688 der mehr als 5400 Schulen in NRW teilgenommen.

Mit verschiedenen Servicestellen werden in NRW auch antisemitische Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze erfasst. Die politische Aufklärung über Verschwörungstheorien und antisemitische Vorurteile soll verstärkt werden. Auch sollen Kooperationen von Schulen in NRW und Israel ausgebaut werden.

Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) bot Israel Unterstützung von Unternehmen wie etwa Start-up-Firmen an, deren Beschäftigten jetzt im Militärdienst seien. NRW-Unternehmen, die mit israelischen Firmen kooperierten, könnten einspringen, wo Hilfe nötig sei. Aus europäischen Fonds könnten Mittel für den Mittelstand eingesetzt werden, um Kooperationen mit Partnern in Israel zu ermöglichen.

Täglich mehr antisemitische Vorfälle

Nach Angaben der Antisemitismus-Beauftragten des Landes, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, sind in NRW allein seit dem Massaker der islamistischen Hamas in Israel vom 7. Oktober mehr als 380 antisemitische Vorfälle in NRW registriert worden. «Täglich kommen mehr dazu», sagte sie. Die Vorfälle reichten vom Zerreißen der israelischen Flagge, Sachbeschädigungen und Markierungen von Häusern mit dem Davidstern bis zu Gewaltdelikten. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2023 habe es rund 100 antisemitische Vorfälle in NRW gegeben.

Pogromnacht 1938 als Mahnung

Wüst wies auf das Gedenken an die Pogromnacht gegen Juden vor 85 Jahren am 9. November 1938 hin. Dieser Gewaltausbruch gegen Juden sei der Auftakt von Vertreibung und Vernichtung der Juden in Deutschland gewesen. Die Erinnerung an die Pogromnacht sei «niemals mehr Mahnung gewesen als in diesen Tagen», sagte der Ministerpräsident. Fast 80 Jahre nach der Shoah könnten Juden kein sicheres Gefühl mehr in Deutschland haben.

Wüst, seine Stellvertreterin Neubaur und Leutheusser-Schnarrenberger riefen die Zivilgesellschaft auf, sich entschlossener dem Antisemitismus entgegenzustellen. «Zeigen sie Präsenz, bat Wüst. Die große Mehrheit der Menschen, die an der Seite Israels stehen, müsse das auch zeigen. «Auch die Mehrheit muss Gesicht zeigen.» Neubaur sagte: «Die Zivilgesellschaft muss lauter werden.»