Düsseldorf (dpa/lnw) – Nachts auf dem Flughafen, im Gefängnis, im Krankenhaus – Hunderttausende Menschen arbeiten, wenn alle anderen schlafen. 40 Politiker der nordrhein-westfälischen SPD aus Landtag und Bundestag haben eineinhalb Jahre lang Menschen bei ihren Nachtschichten begleitet. Initiiert hat das Projekt der frühere SPD-Landeschef Thomas Kutschaty, der selbst sechs verschiedene Schichten mitgemacht hat. Er wollte wissen: «Wer sind eigentlich die Menschen, die für uns arbeiten, aber zu ganz besonders schwierigen Bedingungen in der Nachtschicht?» Die Eindrücke der Vor-Ort-Recherchen sind in einer Fotoausstellung im Johannes-Rau-Haus in Düsseldorf und im Internet zu sehen.


Kutschaty hat als Kind in Essen selbst erlebt, wie sein Vater, der bei der Bahn beschäftigt war, Nacht- oder Wechselschichten stemmte. «Und damit er tagsüber schlafen konnte, ist meine Mutter immer mit mir zum Spielplatz rausgegangen, wenn er in der Wohnung war», sagte Kutschaty der Deutschen Presse-Agentur. Schon das zeige, welche Auswirkungen nächtliche Arbeit nicht nur auf die Beschäftigten, sondern auf ihre Familien und ihr ganzes soziales Leben habe. «Wir reden viel zu wenig über Nachtarbeit.»

Kutschaty fuhr auf dem Düsseldorfer Flughafen nachts mit den Elektrikern über die Pisten, um dort Lämpchen auszutauschen. Im Krankenhaus sah der Politiker, wie Menschen sterben oder wiederbelebt werden. In der Justizvollzugsanstalt erlebte der SPD-Politiker, wie unruhig es dort nachts ist. In einer Bäckerei in Essen setzte Kutschaty nachts um 1.00 Uhr Teig an und versuchte, Brezeln zu formen.

Nirgends habe er Stöhnen oder Klagen der Beschäftigten über ihre Nachtschichten gehört, sagte Kutschaty. Dabei müssten Familien bei Wechselschichten auch die Kinderbetreuung organisieren. Nachtschichten hätten auch Auswirkungen auf den Freundeskreis und die Freizeitgestaltung. Wer nachts arbeitet, könne nicht einfach mal abends mit Freunden in die Kneipe gehen. Ein weiteres Problem für die Nachtarbeiter ist die Verkehrsanbindung. Oft braucht man ein Auto, um nachts in Gewerbegebiete oder entlegene Gefängnisse zu kommen.

«Ich glaube, wir müssen diesen Menschen mehr Gesicht geben», sagte Kutschaty. Auch den Beschäftigten bei Nacht sei Wertschätzung und Respekt wichtig. Beschwert habe sich aber eigentlich keiner der Nachtarbeiter. Viele nähmen ihre Aufgaben mit großem Engagement wahr. «Sie wissen schon, dass Sie Wichtiges und Unverzichtbares leisten für uns.»

Gestartet war das Projekt kurz nach der NRW-Landtagswahl 2022, bei der die SPD eine historische Niederlage erlitten hatte. Rund 60 Nachtschichten machten die Politiker mit, unter ihnen auch Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze. Sie waren im Seniorenheim, in der Raffinerie oder einem Postverteilzentrum, begleiteten Kältebusse für Obdachlose, einen Schleusenwärter, Rettungssanitäter, den kommunalen Ordnungsdienst und die Polizei.

Die SPD, die traditionell als Arbeiterpartei gilt, zuletzt aber bei der Europawahl in NRW nur noch auf 17,2 Prozent gekommen war, besinnt sich mit dem Nachtschicht-Projekt auch auf ihre Stammklientel. Es gehe darum, Respekt vor den Leistungen der Menschen zu zeigen, sagte Kutschaty. «Das sind ja immer Menschen, die unser Land am Laufen halten. Ich glaube, die brauchen mehr Wertschätzung, und es tut auch jedem Politiker gut, auch hautnah diese Erfahrung zu machen.»