Ahmad Mansour warnt vor Propaganda in sozialen Medien. (Archivbild)
Ahmad Mansour warnt vor Propaganda in sozialen Medien. (Archivbild) Foto: Arne Dedert/dpa

Düsseldorf (dpa/lnw) – Soziale Medien sind nach Überzeugung von Extremismusforscher Ahmad Mansour der entscheidende Wegbereiter für islamistische Anschläge in Deutschland. «Man darf den digitalen Raum nicht den Islamisten überlassen», sagte Mansour als Sachverständiger im Untersuchungsausschuss des Landtags NRW zum Solingen-Anschlag.


Der Gaza-Konflikt habe nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 eine Radikalisierungswelle auch in Deutschland ausgelöst. «Junge Muslime sind in „Social Media“ mit einem Propaganda-Tsunami konfrontiert. Und wir haben keine Strategie gegen die Radikalisierung in den sozialen Medien.» Dort seien islamistische, nicht liberale Narrative zu 90 Prozent vorherrschend.

«Wer die Menschen erreichen will, darf nicht nur Workshops in Schulen und Gefängnissen machen. Er braucht eine digitale Strategie. Wir müssen endlich handeln und digital aktiv werden», sagte Mansour.

Radikalisierung durch Emotionen

«Warum werden solche Orte von den Demokraten nicht besetzt?», fragte er. «Die deutsche Haltung im Nahost-Konflikt wird gar nicht versucht, in den sozialen Medien zu kommunizieren.» Die Hamas und Russland nutzten die sozialen Medien dagegen für ihre hybride Kriegsführung, sagte Mansour.

Die Emotionalisierung mit Bildern brennender Babys und schreiender Mütter werde von der Hamas zur Radikalisierung von Einzeltätern genutzt. Ein Kontakt mit einer Terrororganisation sei nicht mehr notwendig. Dies mache die Suche der Sicherheitsbehörden nach potenziellen Attentätern noch schwieriger. Insofern sei Solingen eine Ausnahme gewesen, weil der Verdächtige offenkundig Kontakt zum Islamischen Staat (IS) gehabt habe.

Ohne Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft landeten die Zuwanderer in einer Parallelwelt. «Die Lage auf Tiktok ist sehr gefährlich. Wenn sie sich eins der islamistischen Videos anschauen, haben sie bald nur noch solche Videos vor Augen.» Deutschland habe gute Deradikalisierungsprogramme, aber praktisch keinen Schutz vor Radikalisierung.

Psychische Labilität begünstigt Radikalisierung

Die gefährliche Ideologie der Islamisten treffe auf die psychische Labilität vieler Zuwanderer. «Ich erlebe Menschen, die neu zu uns kommen, als neugierig. Sie kommen mit Träumen und Sehnsüchten. Zwei bis drei Jahre später sind sie depressiv», sagte Mansour.

«Das sind Leute, die Schwierigkeiten haben mit der Sprache, dem Ausbildungsplatz und den Erwartungen ihrer Familie. Sie sind oft überfordert, fühlen sich bevormundet und gekränkt.» Die Menschen lebten zum Teil acht Jahre in einem Asylheim und warteten lange auf einen Deutschkurs. Dadurch entstehe Wut auf die Mehrheitsgesellschaft.

«Die letzten Anschläge waren impulsiv, die Täter labil und der Anschlag eine Moment-Entscheidung», so sein Eindruck. «Wir haben nicht wirklich verstanden, was soziale Medien mit den Menschen machen.» Wer vier bis fünf Stunden pro Tag online sei, dessen Empathie reduziere sich.

Psychische Labilität spiele eine wichtige Rolle und die psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung von Migranten sei «sehr schlecht». «Viele Leute fallen aus dem Raster, weil sie keine Betreuung bekommen.» Das Gesundheitssystem sei im Umgang mit den Menschen, die oft auch noch mit Vorbehalten gegen Psychotherapie behaftet seien, massiv überfordert.

«Es läuft enorm viel schief. Die Menschen stehen unter massivem Druck. Sie bekommen keinen Zugang zur Mehrheitsgesellschaft.» Flächendeckende Integrationsarbeit sei nicht vorhanden, weil teuer. «Wenn dann noch der Asylantrag abgelehnt wird, steigt die Gefahr zur Turbo-Radikalisierung aus Wut und Enttäuschung», sagte Mansour.

Zudem sehnten sich viele Menschen nach Klarheit. Sie seien überfordert mit Komplexität. «Insofern weisen Neonazis und Islamisten sehr viele Parallelen auf.» Mit 30 Sekunden-Videos bei Tiktok nutzten die Extremisten dies mit einfachen Botschaften.

Solingen-Anschlag

Am 23. August vorigen Jahres soll Issa Al H. auf einem Stadtfest in Solingen drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt haben. Er sitzt unter Mordverdacht in Untersuchungshaft. Die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) hatte den Anschlag für sich reklamiert.

Der Untersuchungsausschuss des Landtags NRW soll mögliche Versäumnisse und Fehler der Landesregierung untersuchen sowie auch strukturelle Defizite bei Abschiebungen und Rückführungen in andere EU-Länder unter die Lupe nehmen.