NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) war bis Herbst 2021 Landesverkehrsminister und muss deshalb vor dem Untersuchungsausschuss aussagen.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) war bis Herbst 2021 Landesverkehrsminister und muss deshalb vor dem Untersuchungsausschuss aussagen. Foto: Oliver Berg/dpa

Düsseldorf (dpa/lnw) – NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat in seiner Amtszeit als Landesverkehrsminister nach eigenen Angaben keine Informationen über den bedrohlichen Zustand der inzwischen abgerissenen Rahmede-Talbrücke erhalten. «Diese Brücke ist nie mit akutem Handlungsbedarf an mich herangetragen worden», sagte Wüst in einer dreistündigen Befragung im Untersuchungsausschuss «Brückendesaster» des Landtags.


Zwar sei in den Runden mit dem Landesbetrieb Straßen NRW auch immer wieder über Abschnitte der Autobahn 45, an der die Brücke liegt, gesprochen worden. Die Rahmede-Brücke sei aber nicht problematisiert worden. «Ich bin jedenfalls nicht informiert worden.»

Keine Priorität für Rahmede-Brücke

Seit 2011 sei die Rahmede-Brücke alle drei Jahre bis 2020 geprüft worden und habe jedes Mal die Zustandsnote drei erhalten, sagte Wüst. Aus damaliger Perspektive habe die spätere Eilbedürftigkeit bei der Rahmede-Brücke noch nicht zur Grundlage der Entscheidungen gemacht werden können, sagte Wüst mit Bezug auf Aussagen der damaligen Chefin des Landesbetriebs Straßen.NRW, Elfriede Sauerwein-Braksiek. Insofern sei das Projekt auch nicht mit oberster Priorität vorangetrieben worden. 

Bei der Betrachtung im Nachhinein sei das natürlich ein Fehler gewesen, sagte Wüst. Er habe aber damals «keinen Anlass zu Argwohn» gehabt. Denn aufgrund der Zustandsnote der Brücke habe es keinen Grund gegeben, das Schadenausmaß der Brücke zu vermuten, wie es sich später gezeigt habe. Nach damaligen Feststellungen der Fachleute sei die Nutzung der Brücke auf absehbare Zeit sichergestellt gewesen. «Man ging davon aus, dass die weitere Nutzung unproblematisch sei», sagte Wüst. «Man muss sich als Hausspitze auf das Urteil seiner Fachleute verlassen.» 

Die ganze Brücke sei ihm gegenüber zuvor nicht problematisiert worden. «Ich hatte keinen Anlass dazu, genau zu diesem Projekt spitz nachzufragen», sagte Wüst. Die Entscheidungen zu Brückenneubauten treffe zudem die fachliche und nicht die politische Ebene. Straßen.NRW habe seinerzeit das Wissen über Brückenbauwerke gehabt und die Priorisierungen vorgenommen. «Als Politiker pfuscht man da nicht rein.»

Schwerwiegende Folgen der Sperrung und des Abrisses

Wüst war von 2017 bis zu seinem Amtsantritt als Regierungschef im Oktober 2021 Landesverkehrsminister. Anfang 2021 war die Zuständigkeit für Autobahnen in NRW in die Zuständigkeit des Bundes übergegangen.

Anfang Dezember 2021 hatten Experten bei einer Kontrolle der Rahmede-Talbrücke schwere Schäden festgestellt, die Brücke wurde wegen Einsturzgefahr umgehend gesperrt und im Mai 2023 gesprengt. Die Folgen für Pendler, Wirtschaft und Anwohner sind gravierend. Der Neubau begann im Oktober 2023. Im Frühjahr 2026 soll die neue Brücke eröffnet werden. 

Brisantes Protokoll stellte enorme Defizite bei Brücke fest

Keine Angaben machte Wüst zu einem jetzt aufgetauchten brisanten Entwurf eines Besprechungsprotokolls der Autobahn GmbH von September 2021. Demnach waren schon zwischen 2010 und 2014 – in der Amtszeit des damaligen SPD-Verkehrsministers Michael Groschek – bei statischen Berechnungen «enorme Defizite» bei der Rahmede-Brücke festgestellt worden. Aufgrund der Problematik müsse schnellstmöglich der Ersatzneubau erfolgen, heißt es in dem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Protokoll. Eine Restnutzungsdauer für den Verkehr könne nicht festgelegt werden. 

Aus internen Tabellen ging zudem hervor, dass bereits im Mai 2021, bei einer Ortsbegehung zahlreiche Mängel an der Brücke aufgeführt wurden. Wüst verwies darauf, dass zu der Zeit schon die Autobahn GmbH zuständig für die A45 und die Rahmede-Brücke gewesen sei. Auf die Frage, ob sein Amtsvorgänger Groschek ihn 2017 bei Amtsantritt über den Zustand der Brücke informiert habe, sagte Wüst: «Es hat eine kollegiale und freundliche Übergabe gegeben, aber keine Besprechung einzelner Projekte.»

SPD resigniert: «Erkenntnisgewinn Null»

Der SPD-Abgeordnete Gordan Dudas wollte sich mit Wüsts Aussagen nicht zufriedengeben. Wüst sei NRW-Verkehrsminister gewesen, als 2018 die Morandi-Autobahnbrücke in Genua einstürzte. Der Minister habe damals keinen Anlass für Sonderkontrollen der NRW-Brücken gesehen, sagte er.

Im U-Ausschuss habe Wüst «einen überzeugten Auftritt in Sachen Eigenwerbung» hingelegt, sagte Dudas. Zur Rahmede-Brücke habe er sich so gut wie gar nicht geäußert. «Also die Erkenntnis bis jetzt ist leider null.»

Angesichts der jetzt aufgetauchten Informationen zum Zustand der Rahmede-Brücke von September 2021 sieht die Opposition aber noch weiteren Fragebedarf und will dazu erst noch einmal Akten sichten und weitere Fachleute vorladen. Dudas sagte zu Wüst: «Wir werden, sobald wir die Akten gesichtet haben, Sie noch mal hier vorladen.» 

Im Gegensatz zu Wüst haben dessen Nachfolger als Verkehrsminister dann praktisch ständig mit der gesperrten Rahmede-Brücke zu tun gehabt. Wüsts Nachfolgerin im Verkehrsressort, Ina Brandes (CDU), erfuhr nach eigenen Angaben erst am Tag der Sperrung am 2. Dezember 2021 erstmals von der Rahmede-Brücke. «Ach du Scheiße» habe sie damals gedacht, so sagt sie im Ausschuss. Damals war sie erst fünf Wochen im Amt. 

Die Infrastruktur-Expertin hatte im Herbst 2021 das NRW-Verkehrsressort übernommen und wurde nach der Landtagswahl Mitte 2022 NRW-Kultur- und Wissenschaftsministerin. In der Zeit vor der Sperrung der Brücke habe sie keine Informationen darüber erhalten, dass es Probleme mit dem Bauwerk gebe. Dann aber musste sie in den Krisenmodus schalten.

Ihr Ministerium habe versucht, die früheren Entscheidungen zur Rahmede-Talbrücke aufzuarbeiten. Informationen, wer wann was entschieden habe, habe sie aber erst bekommen, als sie schon nicht mehr Verkehrsministerin gewesen sei. Aus heutiger Sicht sei es schon vor Jahren «der größte Fehler» gewesen, die marode Brücke nicht notdürftig zu verstärken und damit ihre Nutzung für den Moment sicherzustellen, sondern gleich auf einen Neubau zu setzen, sagte Brandes. Wegen der Aussicht auf einen Neubau, der immer wieder verschoben wurde, war die marode Brücke deshalb nicht mehr verstärkt worden.

«Rahmede-Brücke ist kein Einzelfall»

Für den heutigen NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) ist das Rahmede-Problem ständig präsent. Seit seiner Amtsübernahme im Juni 2022 habe für ihn die weiträumige Umleitung besonders des Schwerlastverkehrs und die Reduzierung der Belastung für die Menschen in Lüdenscheid und der Region im Fokus gestanden, sagte Krischer. Er habe zwar auch Interesse daran, die Ursachen für die plötzliche Sperrung der Brücke zu erfahren. Die relevanten Akten lägen aber bei der Autobahn GmbH des Bundes. Er habe auch keinerlei Informationen, dass die NRW-Landesregierung den geplanten Neubau der Brücke absichtlich verschoben haben könnte. 

«Die Rahmede-Brücke ist kein Einzelfall», sagte Krischer. Über Jahrzehnte seien Brücken in NRW und bundesweit nicht ausreichend unterhalten worden. Seine Priorität sei es, dass nicht weitere Bauwerke in seinem Verantwortungsbereich gesperrt werden müssten.