NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat sich bei Amtsantritt das Eintreten für Rechte von Kindern auf die Fahne geschrieben.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat sich bei Amtsantritt das Eintreten für Rechte von Kindern auf die Fahne geschrieben. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Düsseldorf (dpa/lnw) – «Unser Land wird nur eine gute Zukunft haben, wenn alle Kinder einen guten Start ins Leben haben», sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst einmal. Der CDU-Politiker und Vater einer kleinen Tochter hatte sich mit Amtsantritt im Herbst 2021 das Eintreten für Kinder auf die Fahne geschrieben. Erst am Sonntag gab er wieder seine jährliche Kinderpressekonferenz.


Nun sitzt Wüst im NRW-Landtag auf der Regierungsbank und blättert in weißen Zetteln, während die Opposition ihm in einer Aktuellen Stunde Wortbruch bei zentralen Wahlversprechen in der Kinder-Politik vorwirft. Keines Blickes würdigt Wüst den SPD-Oppositionsführer Jochen Ott, als dieser am Rednerpult aufzählt, was alles noch nicht umgesetzt wurde: Kein Einstieg in ein kostenloses Mittagessen, kein beitragsfreies drittes Kita-Jahr und keine Novelle des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz), um eine auskömmliche Finanzierung der unter Personal- und Finanznot ächzenden mehr als 10.000 Kitas in NRW zu sichern. «Die Versprechen Ihrer Koalition sind Schall und Rauch», ruft Ott. Wüst blickt nicht einmal auf.

Im Haushalt 2026 keine Mittel für drittes beitragsfreies Kita-Jahr 

Keine zwei Jahre sind es mehr bis zur nächsten Landtagswahl 2027 im bevölkerungsreichsten Bundesland. Die CDU sitzt fest im Sattel. Doch immer lauter äußern Kitas, Träger und Eltern ihre Unzufriedenheit. Als Finanzminister Marcus Optendrenk am Dienstag die Eckpunkte für den Rekordhaushalt 2026 vorlegt, wird klar: Auch kommendes Jahr, im Jahr vor der NRW-Wahl, wird es kein drittes beitragsfreies Kita-Jahr geben. 

Dabei heißt es im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen ohne jede Einschränkung: «Wir werden auch das dritte Kita-Jahr vor der Einschulung in ganz Nordrhein-Westfalen beitragsfrei machen. Wir streben eine kostenfreie Verpflegung in Kitas an und werden Eltern schrittweise einkommensabhängig von Essensgeldern entlasten.» 

Der Koalitionsvertrag habe von Anfang an unter Haushaltsvorbehalt gestanden, sagte Optendrenk bei der Vorlage des Etats 2026 am Vortag. Stabilität und Verlässlichkeit für die Eltern hätten derzeit Priorität. «Wenn es ökonomisch besser läuft, können wir uns viele Dinge überlegen, die aus dem Koalitionsvertrag noch umgesetzt werden sollen. Aber im Moment sind wir dabei, erst mal bestehende Strukturen zu stabilisieren.»

«Die Herausforderungen sind nun mal groß»

Auch Kinder- und Familienministerin Josefine Paul (Grüne) bleibt im Landtag nebulös. Sie erklärt lediglich, zentrales Ziel der KiBiz-Reform seien Stabilität, Verlässlichkeit und Chancengerechtigkeit im Kita-System. Dazu sollten im Wesentlichen die Fachkräftesituation und Ausbildung verbessert, die Bürokratie abgebaut sowie Förderungen vereinfacht werden. «Die Herausforderungen sind nun mal groß.»

Trotz der klammen Haushaltslage habe die Landesregierung schon 2025 zusätzlich 500 Millionen Euro ins System gepumpt. 2026 sollten zusätzlich 370 Millionen Euro für die Kitas bereitgestellt werden, betont Paul. Die im KiBiz festgelegte Pauschale für die Träger pro betreutem Kind werde zum neuen Kindergartenjahr sogar um knapp zehn Prozent erhöht. 

Tausende Kita-Plätze fehlen

SPD-Oppositionsführer Ott sagte, mit dem zusätzlichen Geld würden allenfalls gestiegene Tarifkosten und die Inflation kompensiert. Der Ausbau der Kita-Plätze sei unter Schwarz-Grün zusammengebrochen. Mehr als 5.000 Kita-Plätze fielen zum neuen Kita-Jahr aus dem Bestand. In den Kitas fehlten 90.000 U3-Plätze und 20.000 Fachkräfte. «Wer dann auch noch behauptet, Kinder und Bildung seien Priorität, der sagt einfach nicht die Wahrheit.»

Der FDP-Abgeordnete Marcel Hafke wirft Paul vor: «Kinder haben bei Ihnen leider keine Lobby.» Paul, die auch die Ressorts Flüchtlinge und Integration verantwortet, sei mit ihren Ämtern überfordert. Die frühkindliche Bildung sei dadurch ins Stocken geraten.

Auch die AfD spricht von Wortbruch. «Das ist die Folge, wenn Politiker Wahlversprechen machen, von denen sie eigentlich wissen müssten, dass man sie nicht halten kann», so der AfD-Abgeordnete Zacharias Schalley. Die seit Jahren versprochene KiBiz-Reform stehe auf der Kippe. Wütend seien die Kita-Betreiber, Erzieher und Eltern. «Viele fragen sich zu Recht: Wofür zahlen wir eigentlich, wenn die Kita ohnehin geschlossen bleibt, Förderung ausfällt und unser Kind nur noch irgendwie verwahrt wird?»

Oft kein Geld für frisches Mittagessen

Zeitgleich zur Plenardebatte schlägt am Mittwoch das Kita-Bündnis NRW Alarm. «Die Lage in NRW hat sich in keiner Weise entspannt», lautet das Fazit bei einem Treffen in Köln. Auch wenn die Landesregierung versuche, mit verschiedenen Maßnahmen gegenzusteuern, reiche das nicht aus. Vor allem drücken die Träger auch die hohen Kosten der aktuellen Tarifsteigerungen. Dadurch fehle Geld für die dringend notwendige Sprachförderung und für ein frisches Mittagessen – das für viele Kinder die einzige warme Mahlzeit am Tag sei, sagt Vera Hopp vom Verein für Kinder- und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten Ruhrgebiet (VKJ). 

Denn auch das ist NRW: Gut jeder sechste Einwohner ist wegen eines niedrigen Einkommens von Armut bedroht, hatte das Statistische Landesamt kürzlich mitgeteilt. 3,2 Millionen Menschen waren demnach im vergangenen Jahr betroffen – vor allem Kinder. 23,3 Prozent aller Minderjährigen lebten 2024 in einem einkommensarmen Haushalt, wie die Statistiker errechneten. 

Der CDU-Abgeordnete Jens Kamieth verspricht: «Die nächste KiBiz-Novelle wird kommen.» Nur wann, fragen sich viele im Landtag.