Auch damals scho schön Bunt, die Biedermeier Gruppe , Bild: Fam. Kappner
Auch damals scho schön Bunt, die Biedermeier Gruppe , Bild: Fam. Kappner

50 Jahre Biedermeiergruppe Lintorf: Wie eine mutige Idee das Schützenwesen bunter machte, Beitrag von Isabella Kappner und Leonore Kappner


Wer beim Lintorfer Schützenfest den Festzug erlebt, wartet oft genau auf diesen Moment: wenn sich die Biedermeiergruppe ihren Weg durch die Straßen bahnt – mit eleganten Knicks, zarten Blumenmustern und einem Lächeln, das die Zeit ein wenig zurückdreht. 2025 feiert diese besondere Gruppe ihr 50-jähriges Bestehen. Der Weg dahin war mindestens so bunt wie ihre Kostüme.

Am Anfang stand eine Idee – und eine Frau mit Mut

1975, zur Vorbereitung des 25-jährigen Jubiläums der Hubertus-Kompanie, hatte Hilde Kappner eine Idee, die im traditionellen Schützenwesen ihrer Zeit ein deutliches Zeichen setzte: eine reine Frauengruppe im Festzug. Ganz neu war der Gedanke zwar nicht – in Angermund, wo sie zuvor gelebt hatte, war sie Mitglied und später Leiterin einer Rokokogruppe gewesen. Doch in Lintorf war eine solche weibliche Präsenz im Schützenfest noch völlig ungewohnt.

Mit ihrer Idee brachte Hilde Kappner nicht nur Farbe ins Fest, sondern stellte auch die Frage nach der Rolle der Frau im öffentlichen Raum – lange bevor Gleichstellungsfragen Teil öffentlicher Debatten wurden. „Ich dachte, es wäre doch schön, wenn wir beim Schützenfest ein paar Farbtupfer mehr hätten – und Frauen sichtbarer würden“, erinnert sich die gelernte Opernsängerin, die in diesem Jahr ihren 90. Geburtstag feiert. Ihr Engagement reichte weit über das Schützenwesen hinaus: In der St.-Johannes-Gemeinde war sie aktiv im Pfarrgemeinderat sowie in der Jugend- und Theaterarbeit. Bühne und Bewegung lagen ihr im Blut – warum also nicht auch beim Schützenfest?

Heimlich, still und historisch schön

Die allererste Biedermeiergruppe entstand im Verborgenen – niemand in der Hubertus-Kompanie sollte etwas davon erfahren. Mit Fingerspitzengefühl, Organisationstalent und einer großen Portion Mut setzte Hilde Kappner ihre Idee um. An ihrer Seite: Sophie Hermanns und Irmgard Siegel, zwei erfahrene Schneiderinnen mit Herz und Handwerk im Blut. Gemeinsam nähten sie 16 prachtvolle Kostüme – acht für die Damen, acht für ihre „Pagen“.

Die Stoffe? Zart geblümte Baumwolle, farblich abgestimmter Samt, feine Blusenstoffe und Unterröcke – liebevoll zusammengestellt, organisiert über persönliche Kontakte aus der Pfarrgemeinde.

Das Budget? Fehlanzeige. Offiziell war kein Geld da. Doch Hilde Kappner ließ sich nicht aufhalten. Gemeinsam mit ihrem Mann Helmut, der selbst Mitglied der Hubertus-Kompanie war, streckten sie kurzerhand alle Kosten vor. Denn wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Auch bei den Frisuren wurde anfangs improvisiert – mit viel Geschick und Unterstützung von Grete Umbeck, die Make-up und kunstvolle Frisuren übernahm. Später kamen Perücken hinzu: anfangs weiße Locken für die Pagen, später elegante Hochsteckfrisuren in dunklem Braun, Kupfergold oder Blond für die Damen – jede einzeln frisiert und gestylt.

Der erste Auftritt – ein Überraschungserfolg

1975 beim Festakt der Hubertus-Kompanie war es soweit: Die Biedermeiergruppe trat zum ersten Mal auf – mit Menuett und anschließender Parade. Der Erfolg war überwältigend. Der damalige Schützenchef Hans Lumer schlug vor, die Gruppe fest in die Bruderschaft zu integrieren – gesagt, getan.

Ab 1976 war die Biedermeiergruppe ganz offiziell Teil des großen Festzugs. Mit elegantem Schwung verbeugten sich die Paare, überreichten den Majestäten Blumen und ernteten dafür viel Applaus von den Zuschauern am Straßenrand.

Am Montagabend war dann der zweite große Höhepunkt: der Krönungstanz. „Ach, das war was! Das ganze Zelt war brechend voll, bestimmt an die tausend Leute. Und dieser Applaus – der wollte gar kein Ende nehmen“, erinnert sich Hilde. „Wir mussten den Tanz sogar noch einmal machen, weil die Leute gar nicht genug bekommen konnten. Mir lief richtig die Gänsehaut über den Rücken – so schön war das.“

Hinter den Kulissen: Ein starkes Team

So ein Auftritt braucht Vorbereitung – und ein eingespieltes Team im Hintergrund. Neben den Schneiderinnen waren es Frauen wie Brigitte Hanke und Oda Sauer (Drogerie Füßgen), die Make-up und Styling übernahmen. Hilde und Tochter Isabella frisierten die Hochsteckfrisuren. Sophie Hermanns und Ingrid Frohnhoff half bei Anproben und Änderungen. Kurz vor dem Fest herrschte Hochbetrieb im Hause Kappner: mit Tanzproben auf der Terrasse, Lockenwicklern überall und Kartoffelsalat in der Küche. Echtes Schützenfieber eben.

Krönungstanz und Autoscooter

Bis Ende der 90er leitete Hilde Kappner die Gruppe mit unermüdlichem Engagement. Wochenlange Proben, Generalprobe beim Seniorenkaffee, Frisieren, Schminken – und dann der große Moment. Die Anspannung der jungen Frauen vor dem Krönungstanz konnte schon mal etwas größer werden. Feuchte Hände, konzentrierte Blicke, Lampenfieber. Doch der Applaus machte alles wett.

Und nach dem Krönungstanz? Da war natürlich noch lange nicht Schluss! In voller Biedermeier-Montur ging es in den Autoscooter. „Bäng, bumm, krach – die Perücken verrutschten, die Schürzen flatterten, und wir quietschten vor Lachen“, erinnert sich Monika Knickmeier mit einem breiten Grinsen. „Das war unser Ventil – da konnten wir die vorherige Anspannung einfach rauslassen.“ Die große Tüte mit Autoscooter-Chips? Die gab’s jedes Jahr spendiert vom Bruderschaftschef – eine schöne Tradition mit Karacho!

Unvergessliche Highlights und Generationswechsel

Legendär bleiben die Auftritte beim Ratinger Schützenfest 1981 und 1983 sowie beim Bundesschützenfest mit über 30.000 Teilnehmern. Drei Stunden Festzug – und mittendrin die Biedermeiergruppe aus Lintorf.

Ende der 90er Jahre übergab Hilde die Leitung an ihre Tochter Isabella und Monika Knickmeier – beide kannten jeden Handgriff. Als Isabella später wegzog, übernahm Lisa Kienen 2006 die Leitung. Bis heute führt sie die Gruppe mit viel Herz und Engagement.

Vom Tanz zur Parade: Die Biedermeiergruppe 2000–2025

Zwar musste der traditionelle Tanz aus Zeitgründen eingestellt werden, doch der Auftritt im Festzug blieb. Kleider werden angepasst, Röcke gebügelt, Perücken frisiert, Make-up aufgetragen – alles mit derselben Liebe zum Detail wie eh und je.

Für das Styling sorgten bis zur Corona-Zeit die versierten Hände von „Oda & Biggi“. Heute sind es viele fleißige Helferinnen im Hintergrund, die dafür sorgen, dass alles sitzt. Eine davon ist Christl Rath – stets einsatzbereit, auch kurzfristig, und längst unverzichtbar. Monika Knickmeier steht weiterhin mit Rat und Schminkpinsel zur Seite. Und ganz traditionsgemäß findet die letzte Generalprobe immer noch draußen auf der Terrasse statt. Schließlich muss bei der Parade jede Bewegung sitzen.

Nach der pandemiebedingten Pause kehrte die Gruppe 2023 mit vier Pärchen zurück, die das Schützenkönigspaar Thomas und Jenny Busch stilvoll ehrten.

Die nächsten 50?

Ob mit oder ohne Tanz – die Biedermeiergruppe ist aus dem Lintorfer Schützenfest nicht mehr wegzudenken. „Unser Erfolg lebt vom Mitmachen – und vom Miteinander“, sagt Lisa Kienen. „Ohne die vielen helfenden Hände im Hintergrund würde kein Kleid richtig sitzen und keine Locke glänzen.“ 50 Jahre Biedermeiergruppe – das bedeutet: gelebte Tradition, Offenheit für Veränderung und die Freude, Teil von etwas ganz Besonderem zu sein. Und wer weiß – vielleicht gibt es zum 60-jährigen Jubiläum ja wieder eine Tanzgruppe? 

Lust mitzumachen?

Mädchen und Frauen, die bei der Biedermeiergruppe mitwirken möchten, ob als Mitläuferin, Schneiderin, Schminkfee oder helfende Hand, sind herzlich willkommen und können sich bei Lisa Kienen melden: Biedermeier-Lintorf@gmx.de