Ratingen | Am Sonntagvormittag versammelten sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger im Medienzentrum, um der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Anlass war der Jahrestag der Reichspogromnacht, jener Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, in der auch in Ratingen jüdisches Leben zerstört und der jüdische Friedhof an der Werdener Straße geschändet wurde. Die Stadt Ratingen hatte gemeinsam mit dem Jüdischen Kulturverein Schalom e.V. zur Gedenkstunde eingeladen, die von Bürgermeister Patrick Anders eröffnet wurde.
Neben Vertreterinnen und Vertretern der Stadtgesellschaft nahmen auch Landrätin Frau Dr. Bettina Warnecke, Landtagsabgeordnete Elisabeth Müller-Witt (SPD) sowie Mitglieder und Freunde des Vereins Schalom e.V. teil, darunter dessen Vorsitzender Vlad Ilstein, der Ehrenvorsitzende Vadym Fridman und Dr. Oded Horowitz, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Gemeinsam mit zahlreichen Gästen aus Politik, Kirchen, Vereinen und Schulen verliehen sie der Veranstaltung einen würdigen Rahmen.
Musikalisch einfühlsam begleitet von Pianoklängen standen Wortbeiträge im Mittelpunkt, die sowohl erinnerten als auch mahnten. Bürgermeister Patrick Anders spannte in seiner Ansprache den Bogen von der Geschichte zur Gegenwart. „Die Vergangenheit ist nicht zu ändern“, sagte er, „aber die Erinnerung ist keine Last, sondern ein Kompass für das zukünftige Leben.“ Er warnte davor, die Parallelen zwischen der damaligen und der heutigen Zeit zu übersehen. „Die Entwicklung damals wurde durch Propaganda und Hasserzeugung vorangetragen. Ignoranz und Gleichgültigkeit trugen zur steten Ausbreitung bei, die letztlich erst die zutiefst menschenverachtenden Handlungen des Regimes ermöglichten. Das muss heute und in aller Zukunft verhindert werden – indem jeder Einzelne Verantwortung übernimmt und sich einer solchen Entwicklung entgegenstellt.“
Vlad Ilstein, Vorsitzender des Vereins Schalom, schilderte eindringlich, wie sich das Leben jüdischer Menschen heute anfühlt – zwischen Selbstverständlichkeit und neuer Unsicherheit. „Die Zeit ist nicht dadurch geprägt, dass die Meinungsfreiheit beschnitten ist“, sagte er, „aber jeder muss Verantwortung für das übernehmen, was er sagt.“ Damit sprach er ein Thema an, das weit über religiöse oder gesellschaftliche Grenzen hinausreicht: das Bewusstsein für die Wirkung von Worten, Meinungen und Haltungen.
Auch Dr. Oded Horowitz hob in seiner Rede hervor, dass Erinnerung und Dialog die Grundlage einer offenen Gesellschaft seien. Er machte deutlich, wie sehr antisemitische Tendenzen in der Gegenwart wieder an Stärke gewinnen und dass es Aufgabe aller sei, dem mit Haltung und Wissen zu begegnen.
Den Schlusspunkt setzte Augustina Perassi, die ein freiwilliges soziales Jahr im Kulturbereich absolviert. Sie gab der Veranstaltung eine Stimme der jungen Generation. In bewegenden Worten sprach sie über das Leid der Juden in der NS-Zeit und appellierte eindringlich, dass auch junge Menschen die Verantwortung tragen, die Erinnerung wachzuhalten.
Im Anschluss an die Gedenkstunde begab sich die Gemeinschaft gemeinsam zum nahegelegenen Jüdischen Friedhof an der Werdener Straße, wo zwei Kränze, und auf Wunsch von Vlad Ilstein, nach Jüdischem Brauch, Steine niedergelegt wurden. In stiller Würde gedachten die Anwesenden der Opfer, deren Namen und Geschichten untrennbar mit der Stadt verbunden sind.
Trotz des bedrückenden Anlasses war die Veranstaltung von einem starken Gefühl der Verbundenheit geprägt. Sie zeigte einmal mehr, dass in Ratingen ein lebendiges Miteinander zwischen der Stadtgesellschaft und der jüdischen Gemeinschaft gewachsen ist – getragen von Vertrauen, Respekt und gemeinsamer Verantwortung.
Über die gemeinsame Vergangenheit hinaus wurde an diesem Vormittag deutlich: Erinnerung ist keine Pflichtübung, sondern ein Versprechen. Ein Versprechen, dass Hass und Gleichgültigkeit in dieser Stadt keinen Platz haben – und dass das Licht der Menschlichkeit auch in dunklen Zeiten weitergetragen wird.

