Die SPD-Opposition fordert die Entlassung von Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne). (Archivbild)
Die SPD-Opposition fordert die Entlassung von Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne). (Archivbild) Foto: Thomas Banneyer/dpa

Düsseldorf (dpa/lnw) – Nach der Lieferung neuer Akten für den Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag von Solingen verstärkt die SPD-Opposition ihre Vorwürfe gegen NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne). Die stellvertretende SPD-Landtagsfraktionschefin Lisa-Kristin Kapteinat warf Paul nach dem islamistisch motivierten Anschlag vom 23. August 2024 mit drei Toten fehlende Verantwortungsbereitschaft vor und legte die Entlassung der Ministerin nahe.


Pauls Pressesprecherin zeichnete ein anderes Bild der Ministerin. Paul, die sich auf einer Dienstreise in Frankreich befand, habe schon am Tag nach der Tat ihre Anteilnahme öffentlich in sozialen Medien ausgedrückt und später mit führenden Ministeriumsmitarbeitern konferiert, sagte die Sprecherin im Untersuchungsausschuss. Paul habe sich «federführend um die Aufklärung gekümmert».

Kapteinat bezog sich mit ihrer Kritik an Paul auf eine interne Mail mit ersten, noch ungesicherten Informationen zu dem damals tatverdächtigen und inzwischen verurteilten Täter Issa al Hasan und dessen gescheiterter Abschiebung nach Bulgarien. Diese Mail wurde am Samstagabend – einen Tag nach dem Anschlag – an enge Mitarbeiter Pauls gesendet und zwei Minuten später an die Ministerin weitergeleitet. Paul befand sich zu dem Zeitpunkt wegen einer Gedenkfeier zum Zweiten Weltkrieg in Frankreich. 

Reaktion erst einen Tag später

Erst am frühen Sonntagmorgen beantwortete Paul die Mail und bat um eine Beschreibung, warum derzeit keine Rückführungen nach Syrien stattfänden und was dafür getan werden müsse. Die Debatte werde ja «vermutlich eine weitere Dimension annehmen», schrieb Paul. Inzwischen war der tatverdächtige Syrer am späten Samstagabend in Solingen festgenommen worden. 

Paul habe von Anfang an nur versucht, Fehler bei anderen und im System zu suchen, anstatt sich um Aufklärung zu kümmern und «der Frage nachzugehen, was in ihrem Zuständigkeitsbereich schiefgegangen sein könnte», erklärte Kapteinat. 

Pauls Sprecherin sagte, die Mail mit den ersten Informationen über den Tatverdächtigen sei später auch an sie weitergeleitet worden. Aber gesicherte Fakten hätten daraus noch nicht abgeleitet werden können. So heißt es in der Mail etwa, dass es sich bei dem Tatverdächtigen «wohl um einen syrischen Staatsangehörigen handeln dürfte». 

Paul steht seit dem Anschlag 2024 wegen ihrer anfangs schleppenden Kommunikation in der Kritik. Erst vier Tage nach dem Messerangriff hatte sie sich erstmals öffentlich vor der Presse zu der asylrechtlichen Vorgeschichte des tatverdächtigen Syrers geäußert. 

Ministerin brach Reise ab

Paul hatte die Frankreich-Reise nach eigenen Angaben abgebrochen und sofort mit der Aufklärung des Sachverhalts begonnen, wie sie in einer Ausschuss-Sondersitzung im Landtag gesagt hatte. 

Aus Telefonprotokollen geht hervor, dass sie bis zu einer digitalen Kabinetts-Sitzung an besagtem Sonntag nach dem Anschlag zeitweise nicht erreichbar war. So hatte sie weder auf eine morgendliche SMS-Nachricht von Innenminister Herbert Reul (CDU) reagiert noch auf Anrufe der Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne). Nach Angaben des Ministeriums hatte die Gedenkfeier keine Telefonate zugelassen. Sobald Paul ihre Rede in Frankreich beendet habe, sei sie nach Düsseldorf zurückgekehrt. 

Gesicherte Informationen zwei Tage nach Anschlag

Erst am Sonntag habe es erste Presseanfragen an das Ministerium gegeben, so die Sprecherin. An dem Tag habe auch das Landeskriminalamt (LKA) die Identität des mutmaßlichen Täters bestätigt.

Um 14 Uhr am Sonntag sei eine Telefonkonferenz mit Paul abgehalten worden, in der die zuständige Fachabteilung des Ministeriums bestätigt habe, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen ausreisepflichtigen, aber nicht abgeschobenen Syrer handele. Ministerin Paul habe aus dem Auto auch das Kabinett in einer digitalen Sitzung darüber informiert.

Grüne: «Märchen» von der abgetauchten Ministerin

Die Sprecherin der Grünen im Untersuchungsausschuss, Laura Postma, erklärte: «Ich bin froh, dass wir im Untersuchungsausschuss dem Märchen der Opposition von der abgetauchten Ministerin endlich die wahren Abläufe gegenüberstellen können.» 

Für die CDU sagte der Abgeordnete Fabian Schrumpf: «Die SPD ist weiterhin nicht an Aufklärung, sondern vielmehr an politischer Effekthascherei interessiert.» Sie interpretiere Mails bewusst irreführend und wolle offenbar den Unterschied zwischen ungesicherten Hinweisen und gesicherten Informationen verwischen, um ein falsches Bild in der Öffentlichkeit zu zeichnen. 

Abschiebung gescheitert

Am 23. August 2024 hatte der Syrer Issa al Hasan auf einem Stadtfest in Solingen drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt. Die Terrorgruppe «Islamischer Staat» (IS) hatte den Anschlag für sich reklamiert. Al Hasan hätte bereits ein Jahr zuvor entsprechend den EU-Dublin-Regeln nach Bulgarien rückgeführt werden müssen. Ein Versuch war gescheitert, ein weiterer wurde nicht unternommen.

Das Düsseldorfer Oberlandesgericht verurteilte den 27-jährigen Syrer im vergangenen September zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherungsverwahrung.