Dürfen Kommunen für Gewerbegrundstücke deutlich höhere Grundsteuerhebesätze berechnen als für Wohngrundstücke? Darüber entscheidet das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen.
Dürfen Kommunen für Gewerbegrundstücke deutlich höhere Grundsteuerhebesätze berechnen als für Wohngrundstücke? Darüber entscheidet das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Foto: Wolf von Dewitz/dpa

Gelsenkirchen (dpa/lnw) – Dürfen Kommunen von Gewerbebetrieben für deren Grundstücke deutlich mehr Grundsteuer verlangen als von Hauseigentümern? Diese grundlegende Frage zur sogenannten Differenzierung von Grundsteuer-Hebesätzen muss das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen heute erstmals beantworten.


Es geht um viel Geld: Das Grundsteueraufkommen lag 2024 in NRW laut Städte- und Gemeindebund bei knapp 4,3 Milliarden Euro. Und indirekt könnten auch Mieter erheblich betroffen sein, denn die Grundsteuer wird meist über die Nebenkosten auf die Mieter umgelegt.

Wogegen richten sich die Klagen?

Gegen ihren Grundsteuerbescheid geklagt haben vier Gewerbebetriebe – unter anderem ein Einkaufszentrum – aus dem Ruhrgebiet. Sie fühlen sich benachteiligt, weil für Eigentümer von Wohngrundstücken in ihren jeweiligen Kommunen Essen, Bochum, Dortmund und Gelsenkirchen deutlich geringere Steuer-Hebesätze gelten.

Die Unterschiede sind beträchtlich: Essen verlangt etwa von Gewerbebetrieben einen Hebesatz von 1290 Prozent, bei Wohngrundstücken liegt er mit 655 Prozent annähernd nur halb so hoch. In Dortmund (Wohngrundstücke: 655, Nichtwohngrundstücke: 1245) ist das Ungleichgewicht ähnlich stark.

Wie kam es dazu?

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2018 die bisherige Grundsteuerermittlung für veraltet und verfassungswidrig erklärt. Es entstand ein neues Bundesgesetz, das eine realistischere und gerechtere Bewertung der Grundstücke ermöglichen soll. Dem schloss sich NRW an. Zusätzlich erlaubte das Land im Juli 2024 seinen Kommunen, bei den Hebesätzen zwischen Wohn- und Nichtwohngrundstücken zu differenzieren. Aus der Bewertung der Grundstücke und dem Hebesatz errechnet sich die Steuer.

Warum differenzieren?

Die Kommunen sollten mit der Differenzierung die Möglichkeit bekommen, je nach den Gegebenheiten vor Ort ihre Hebesätze so auszutarieren, dass es nicht zu einer übermäßigen Belastung von Wohnimmobilien komme, so das NRW-Finanzministerium. 120 der 396 NRW-Städte und Gemeinden nutzen laut NRW-Steuerzahlerbund aktuell die Möglichkeit differenzierter Hebesätze. 

Wohnen soll dadurch trotz der neuen und möglicherweise teils höheren Wertfeststellungen für die Grundstücke bezahlbar bleiben, argumentieren Kommunalparlamente, die Differenzierungen einführten. 

Der Steuerzahlerbund sieht es ähnlich, aber kritischer: Die Grundsteuerreform sei «vermurkst», sagt der NRW-Steuerzahlerbund-Chef Rik Steinheuer, Wohngrundstücke würden überproportional belastet. «Um die Wohnkosten halbwegs stabil zu halten, wurde der differenzierte Hebesatz eingeführt.» 

Was sagen die Gewerbebetriebe?

Die Industrie- und Handelskammern lehnen diese Lösung strikt ab: Das «Hochsteuerland NRW» liege bei der Grundsteuer ohnehin deutlich über dem Bundesschnitt. Nun seien die Hebesätze für die Wirtschaft nochmals deutlich gestiegen, so die NRW-Kammern. Gewerbetreibende erlitten durch diese neue «Sonderbesteuerung» erhebliche Standortnachteile. Die IHKs kritisieren daneben, dass die örtlichen Steuersätze im Bundesland mit der Neuerung noch weiter auseinanderklafften als zuvor schon – ein «Belastungsflickenteppich».

Welche Konsequenzen hat eine mögliche Gerichtsentscheidung?

Eine mögliche Entscheidung des Gelsenkirchener Gerichts über unterschiedliche Hebesätze würde zunächst mal nur für die vier Kläger gelten, da nicht die Norm an sich, sondern nur die konkreten Steuerbescheide angegriffen wurden. Bei noch offenen weiteren Verfahren müssten Kommunen aber wohl auf die jeweilige Entscheidung reagieren, vermuten Fachleute. Es liegen zahlreiche weitere Klagen zur Grundsteuer bei den Gerichten. Allein beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen sind es nach Auskunft eines Sprechers aktuell rund 120.