Düsseldorf (dpa/lnw) – Fast drei Monate nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen haben alle Fraktionen im nordrhein-westfälischen Landtag gemeinsam einen Untersuchungsausschuss zur politischen Aufarbeitung des Terroranschlags eingesetzt. Aber schon gleich zu Beginn der Debatte gab es Streit um die Aufgaben des Gremiums. Die oppositionelle SPD ließ keinen Zweifel an ihrer Stoßrichtung im Solingen-Ausschuss und warf Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) vor, eigenes Fehlverhalten vertuschen zu wollen.
Der Untersuchungsausschuss soll mögliche Versäumnisse und Fehler der Landesregierung untersuchen sowie auch strukturelle Defizite bei Abschiebungen und Rückführungen in andere EU-Länder unter die Lupe nehmen. Dem gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, Grünen und FDP stimmte auch die AfD zu. Den Vorsitz übernimmt der frühere NRW-Justizminister und Ex-SPD-Landeschef Thomas Kutschaty.
Im Anschluss an die Landtagssitzung kam der Ausschuss noch am Donnerstag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss hat gerichtsähnliche Befugnisse, kann Zeuginnen und Sachverständige befragen und Akten einsehen. Dem Gremium gehören elf Abgeordnete an.
Der CDU-Abgeordnete Fabian Schrumpf mahnte in der Landtagsdebatte: «Dieser Ausschuss darf weder zur Bühne für Schuldzuweisungen noch zum bloßen Schauplatz für parteipolitische Spiele verkommen.» Zentrale Frage sei, was Gesellschaft, Institutionen und Politik tun könnten, derartige Tragödien nicht nur aufzuarbeiten, sondern ihre Ursachen zu verstehen und künftige Wiederholungen zu verhindern.
Fluchtministerin Paul unter Druck
Die SPD-Abgeordnete Lisa-Kristin Kapteinat nahm dagegen Fluchtministerin Paul ins Visier. Die Grünen-Politikerin torpediere die Aufklärung des Anschlags, um sich selbst zu schützen und eigenes Fehlverhalten zu vertuschen, sagte sie. Indirekt legte Kapteinat Paul den Rücktritt nahe: «Haben Sie, Frau Paul, eigentlich mal darüber nachgedacht, den Weg für eine lückenlose Aufklärung freizumachen?»
Paul steht seit Wochen wegen ihrer anfangs schleppenden Kommunikation nach dem Anschlag in der Kritik. Erst vier Tage nach dem Messerangriff hatte sie sich erstmals öffentlich geäußert. Der Opposition geht es darum, wann genau die Grünen-Politikerin nach dem Anschlag über den Aufenthaltsstatus und den gescheiterten Abschiebeversuch des Tatverdächtigen informiert worden war. Am Tatwochenende war Paul auf Dienstreise in Frankreich.
Innenminister Herbert Reul (CDU) habe sie über den mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlag des abgelehnten Asylbewerbers Issa Al H. erst im Laufe des Sonntags informiert, hatte Paul in einer Sitzung des Integrationsausschusses gesagt. Aber schon am Samstagnachmittag habe die Fachabteilung ihres Ministeriums auf Bitte des Landeskriminalamts die Asyl-Akte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angefordert. Der tatverdächtige Syrer war am Samstag, einen Tag nach dem Anschlag, festgenommen worden.
Warum scheiterte die Abschiebung des Tatverdächtigen?
Bei dem Anschlag am Abend des 23. August auf einem Stadtfest in Solingen waren drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt worden. Der mutmaßliche Attentäter, der Syrer Issa Al H., sitzt unter Mordverdacht in Untersuchungshaft. Er hätte eigentlich schon im vergangenen Jahr den EU-Asylregeln zufolge nach Bulgarien abgeschoben werden sollen. Als er aus der Unterkunft abgeholt werden sollte, war er jedoch nicht aufzufinden. Ein weiterer Rückführungsversuch wurde nicht unternommen. Die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) hatte den Anschlag für sich reklamiert.
Für die Grünen-Regierungsfraktion sagte Laura Postma: «Politische Profilierungsversuche würden den Opfern und Angehörigen schlichtweg nicht gerecht werden.» Der Ausschuss müsse sich vielmehr das komplexe System der Behörden anschauen und dazu beitragen, dass die Verfahren künftig besser würden.
Das Lagebild Islamismus vom Mai sehe diesen auf dem Vormarsch. Das Ziel des IS sei, Angst und Schrecken zu verbreiten. Immer häufiger würden dafür einfachste Mitteln genutzt und die Einzeltäter würden jünger und radikalisierten sich über das Internet. Auch diese Tendenz müsse der Ausschuss aufarbeiten.
Auch Innenminister Reul im Fokus
Der FDP-Abgeordnete Marc Lürbke sagte, der Ausschuss dürfe nicht nur eine symbolische Geste bleiben, sondern es müssten konsequent Lehren aus der Tat gezogen werden. Die zentrale Frage sei, wie solche Taten wie in Solingen künftig verhindert werden könnten, Lücken im Asylsystem geschlossen und Rückführungen auch umgesetzt würden.
Jede Lücke und jedes Versäumnis müsse schonungslos offengelegt werden. Die Rollen Reuls und Pauls müssten dabei genauer beleuchtet werden. Schon heute verwickele sich Paul in «eklatante Widersprüche, die ein gravierendes Führungsversagen im Fluchtministerium vermuten lassen».
Die AfD-Abgeordnete Enxhi Seli-Zacharias sagte, die größte Sorge der anderen Fraktionen sei wohl, dass der U-Ausschuss als Plattform für gegenseitigen Vorwürfe genutzt werden könnte. «Wenn das Ihre wahren Sorgen sind (…), dann haben Sie gar keine Ahnung, wie es den Menschen und Hinterbliebenen da draußen geht.»