Beim Thema atomare Sicherheit will Nordrhein-Westfalens Umweltminister Oliver Krischer keine Abstriche machen. (Archivbild)
Beim Thema atomare Sicherheit will Nordrhein-Westfalens Umweltminister Oliver Krischer keine Abstriche machen. (Archivbild) Foto: Oliver Berg/dpa

Düsseldorf (dpa/lnw) – Nach dem Rückzieher Belgiens vom einst beschlossenen Atomausstieg pocht die nordrhein-westfälische Landesregierung auf Beteiligungsrechte. Für den vom belgischen Parlament beschlossenen Weiterbetrieb von vier Reaktorblöcken stehe nun eine Umweltverträglichkeitsprüfung an, sagte NRW-Umweltminister Oliver Krischer in einer Aktuellen Stunde des Düsseldorfer Landtags. 


«Da muss eine Beteiligung Nordrhein-Westfalens und auch der Bundesrepublik Deutschland erfolgen», unterstrich der Grüne. «Da werden wir selbstverständlich die Sicherheitsinteressen von Nordrhein-Westfalen geltend machen.» Das geschehe etwa über die deutsch-belgische Nuklearkommission, die regelmäßig tage, aber auch über Regierungskonsultationen und über die Bundesregierung.

Schlag ins Kontor aus Belgien

«Wir werden die Entwicklung in den Nachbarländern nicht nur beobachten», entgegnete Krischer auf entsprechende Vorhaltungen von SPD und FDP. Die Landesregierung verhalte sich durchaus kritisch zu der belgischen Entscheidung. Der Rückzieher des belgischen Parlaments sei auch für ihn persönlich «ein Schlag ins Kontor» gewesen. Dennoch sei festzuhalten, dass Nationalstaaten über ihren Energiemix und den Betrieb von Atomkraftwerken nun mal souverän entscheiden.

Es bleibe jedoch spannend, ob die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke im Nachbarland auch tatsächlich umgesetzt werde, sagte Krischer. «Es hat in Belgien sehr oft ein Hin und Her gegeben. Die Atomkraft ist dort auch sehr umstritten.» Derzeit gebe es nicht mal einen Betreiber, der bereit wäre, die enorm schwierigen Investitionen zu wagen.

NRW lagert Jod-Tabletten für den Notfall

Jedenfalls habe die Landesregierung Vorsorge getroffen für einen möglichen atomaren Unfall, versicherte der Minister. «Dazu gehört selbstverständlich die Lagerung von Jod-Tabletten, die wir dezentral in den Katastrophenschutzbehörden der Kreise und kreisfreien Städte haben.»

Ausstieg aus dem Atomausstieg

Das belgische Parlament hatte in der vergangenen Woche mit großer Mehrheit für ein Ende des Atomausstiegs gestimmt. Neben dem geplanten Neubau von Kernkraftwerken soll die Laufzeit von vier bestehenden Reaktoren – darunter Tihange 3 und Doel 4 – verlängert werden. Das Kraftwerk Tihange liegt etwa 60 Kilometer von Aachen entfernt. Ursprünglich war die Abschaltung in diesem Jahr vorgesehen.

Der FDP-Abgeordnete Werner Pfeil forderte, präzise zu klären, welche Gefahren von alten belgischen Atommeilern ausgehen, welche Auswirkungen ein atomarer Unfall für NRW hätte und wie es dann mit einer Staatshaftung der belgischen Seite aussähe. Bei Wind aus Nordwest wäre nicht nur die Aachener Grenzregion von einer radioaktiven Wolke betroffen, sondern etwa 50 Prozent der Landesfläche in NRW, warnte Pfeil, der selbst aus der Region stammt. Vor allem für die am meisten gefährdete Gruppe der Minderjährigen müsse Vorsorge getroffen werden. 

Der CDU-Abgeordnete Christian Untrieser warf der FDP – die sich stets dafür eingesetzt habe, die Kernkraftwerke in Deutschland länger zu betreiben – Unglaubwürdigkeit in der Debatte vor. Die Landesregierung sei längst «im europäischen Verbund mit den Belgiern im Gespräch» und die von den Freidemokraten beantragte Aktuelle Stunde insofern überflüssig. 

Vom Anti-Atomkraft-Kämpfer zum diplomatischen Minister

Der SPD-Abgeordnete Alexander Vogt warf dem grünen Umweltminister eine zu defensive Haltung vor: «Wo ist eigentlich der kämpferische Krischer geblieben, der über Jahre gegen die belgische Atomkraft gekämpft hat?», fragte der Oppositionspolitiker. Falls Krischer untätig bleibe, wäre das unverantwortlich für NRW, mahnte er. 

Die AfD warf den anderen Fraktionen vor, irrationale Ängste gegen Kernkraft zu schüren. «Machen wir es den Belgiern nach und kehren wir zurück zur Kernkraft», forderte der AfD-Abgeordnete Christian Loose. Zur Wahrheit gehöre, dass NRW von belgischem Atomstrom profitiere. 

Die SPD stellte dagegen, dass der neue Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) bereits klargestellt habe: «Deutschland wird nicht abrücken vom Ausstieg aus der Atomkraft.» 

Wie groß ist die Gefahr für NRW? 

Krischer äußerte sich besorgt über das Alter des Reaktors Tihange 1: «Man kann jetzt für oder gegen Atomkraft sein, aber eine technische Anlage, die 50 Jahre läuft, hat Verschleißerscheinungen und stellt schon allein aufgrund ihres Alters ein Risiko dar», sagte der Minister. «Und deshalb wäre es gut und richtig gewesen, wenn die belgische Regierung den Atomausstieg, so wie sie es beschlossen hatte, auch fortsetzt.»

Ebenso wie Redner anderer Fraktionen wies er aber auch darauf hin, dass Belgien seine besonders problematischen «Riss-Reaktoren» Tihange 2 und Doel 3 bereits stillgelegt habe. Das habe auch damit zu tun, dass Deutschland und speziell NRW immer wieder auf die Probleme dieser Atomanlagen hingewiesen habe. «Mit der Stilllegung von Tihange 2 und Doel 3 ist das größte Gefahrenpotenzial für die Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus beseitigt.»

Dass ab 2026 der Nachbarblock Tihange 3 – «trotz ähnlichen Alters und bekannter Mängel» für beinahe ein Jahrzehnt wieder ans Netz gehen solle, sei aber «ein gefährlicher Rückschritt», warnte die Grünen-Abgeordnete Norika Creuzmann. Ein Super-GAU lasse sich nicht mit Jod-Tabletten stoppen. «Wenn es zum Ernstfall kommt, sind Chaos, Evakuierung und Angst die Folge – mit verheerenden Auswirkungen über Generationen hinweg.»