Halbzeit beim ESC-Vorentscheid - die Jury wirkt zufrieden.
Halbzeit beim ESC-Vorentscheid - die Jury wirkt zufrieden. Foto: -/RTL/dpa

Köln/Hürth (dpa) – Ob eine neue Lena dabei ist? Stefan Raab hat beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest zwei Dutzend Bewerber gesichtet und seine ersten Entscheidungen getroffen. 14 Kandidaten kamen in zwei Live-Shows des Formats «Chefsache ESC 2025» (RTL, ARD) eine Runde weiter und damit ins Halbfinale. Wer am Ende die Aufgabe übernehmen soll, Deutschlands Pechvogel-Image bei dem Wettbewerb zu tilgen, ist aber noch ziemlich unklar – zum Teil sind vollkommen konträre Stilrichtungen vertreten.


Am Samstagabend gaben Raab und seine Jury zum Beispiel mehreren Musikern ein Halbfinal-Ticket, die direkte Verbindungen nach Großbritannien haben – obwohl die Briten in den vergangenen Jahren auch nicht unbedingt als Dauergewinner beim ESC galten. Speziell von Singer-Songwriter Moss Kena war Raab aber äußerst angetan. Auch wegen dessen Optik.

«Die blauen Augen, dann diese Locke!», schwärmte Raab, nachdem der in Berlin lebende britische Musiker «Die with a Smile» von Lady Gaga und Bruno Mars gesungen hatte. «Das Gesicht ist der Hammer», sagte Raab und ließ sich kaum stoppen. Zeitweise war unklar, ob Moss Kena, der sich weitestgehend auf Englisch vorstellte, den Worten des deutschen «Raabinators» folgen konnte.

«Klingt total nach England»

Ein weiteres Halbfinal-Ticket bekam die britisch-deutsche Indie-Rock-Band The Great Leslie. Ein Musiker in der Band (Malte) ist Deutscher. «Irgendwie super Zusammensetzung. Klingt total nach England», sagte Raab.

Ebenso weiter kamen die saarländische Rockband From Fall To Spring (Selbstaussage: «Wir lieben das Saarland, aber wir wollen raus»), Sängerin Cloudy June aus Berlin, der Kölner Sänger JALN und die Berliner Sängerin und Songwriterin LYZA, die zuvor noch keinen Auftritt auf einer derart großen Bühne gehabt hatte. «In einer Karaoke-Bar, sonst nicht», berichtete sie. Auf Tiktok hat sie allerdings 1,5 Millionen Follower.

Eine überzeugende Präsentation gelang zudem Musikerin LEONORA aus Wuppertal, deren funkiger Song «Good Day» das Publikum zum Wippen brachte und ein wenig an ein typisches Raab-Lied à la «Wadde hadde dudde da?» erinnerte. Jurorin Yvonne Catterfeld lehnte sich aus dem Fenster: «Wenn du zum ESC gehen würdest, würden wir uns auf jeden Fall nicht blamieren.»

Raab will das Ding gewinnen

Was tief gestapelt klingt, ist das Minimal-Ziel des diesjährigen Vorentscheid-Prozederes: Bitte keine erneute Blamage. In den vergangenen Jahren verlief der Wettbewerb für Deutschland meist desaströs. Seit 2015 hagelte es in großer Dichte letzte oder vorletzte Plätze.

Unter dem Eindruck der mauen Bilanz wurde Raab wieder in den Auswahlprozess integriert, da er als ESC-Spezialist gilt. Die ARD kooperiert mit RTL, dem neuen Heimatsender des Moderators, der von 2015 bis September 2024 in einer längeren Bildschirmpause war. Drei Shows laufen bei RTL, das Finale am 1. März in der ARD. In den Vorrunden entscheidet allein die Jury, im Finale dann das Publikum.

Raabs Ansatz ist dabei deutlich offensiver als der von Catterfeld: «Das Ziel kann immer nur der erste Platz sein, sonst brauchen wir nicht mitzumachen», verkündete er zum Start der Rettungsmission. Für ihn geht es auch um die eigene ESC-Legende, die maßgeblich auf dem unter seiner Ägide errungenen Sieg von Lena Meyer-Landrut 2010 aufbaut.

Halb Vorentscheid, halb Legenden-Huldigung

Der Vorentscheid ist ganz auf Raab zugeschnitten und setzt ihm ein Denkmal. Zu Beginn sahen Fernsehzuschauer Szenen aus der glanzvollen ESC-Historie von «König Lustig» – von seiner Komposition «Guildo hat euch lieb» für Guildo Horn (1998) über die eigene ESC-Teilnahme mit «Wadde hadde dudde da?» (2000) bis hin zu Lena. Die Grobkörnigkeit der TV-Aufnahmen verdeutlichte zugleich: Das ist alles schon eine Weile her.

Raab geht die Sache erkennbar ernsthaft an. Auf dem Jury-Stuhl nahm er in Anzug und Krawatte Platz – ein optisches Zeichen, dass es um die Champions League geht. Moderatorin Barbara Schöneberger nannte ihn «den Meister» und «Herr Chef». Oft wurde er zuerst nach seiner Einschätzung der Auftritte befragt. Einmal überhörte er offenbar, dass Schöneberger nicht ihn, sondern Gast-Juror Johannes Oerding dran genommen hatte – und redete einfach ungestört weiter. «Du bist der Chef, du darfst alles», sagte Schöneberger.

Mit Mittelalter-Rock nach Basel?

Unter den Ausgewählten für das Halbfinale (22. Februar) sind auch die Mittelalter-Rocker von der Band Feuerschwanz, die den exotischsten Auftritt der Vorrunde hatten und eine martialische Cover-Version des eigentlich ganz friedlichen Sommerhits «Dragostea din tei» darboten (Raab attestierte ihnen Mut, «so einen Kacksong zu nehmen»). Auch der Pianist Jonathan Henrich kam weiter. Nach Angaben von eurovision.de ist er der Sohn von Comedy-Star Olli Dittrich, der 2006 mit der Band Texas Lightning für Deutschland antrat (14. Platz).

 

Ebenfalls im Halbfinale antreten werden die Düsseldorfer Sängerin JULIKA (sang in großer ESC-Tradition barfuß), die Kölner Musikerin Cage, die Münchner Band COSBY, das Geschwister-Duo Abor & Tynna aus Wien und der Sänger Benjamin Braatz aus Hagen.

 

Im Halbfinale sollen erstmals potenzielle Songs für den ESC gesungen werden. Bislang hatten sich die Künstler mit eigenen, älteren Liedern oder Coversongs präsentiert.

Das ESC-Finale findet in diesem Jahr am 17. Mai in Basel statt.