Düsseldorf (dpa/lnw) – Das nordrhein-westfälische Innenministerium will den Vertrag für Polizei-Software der US-Firma Palantir nur noch für einen kurzfristigen Zeitraum verlängern. Damit wolle man Optionen freihalten, bis es ein konkurrenzfähiges europäisches oder am besten deutsches Angebot gebe, erläuterte NRW-Innenminister Herbert Reul in Düsseldorf.
Solange das nicht der Fall sei, werde die Analyse- und Recherche-Plattform der US-amerikanischen Firma aber weiter verwendet, unterstrich der CDU-Politiker. «Diese Hilfe, schneller zu reagieren, um Anschläge möglichst zu verhindern, auf die möchte ich nicht verzichten, solange ich keine Alternative habe.» Der bisherige Fünf-Jahresvertrag läuft Ende September aus.
Dank des Recherche- und Analyseprogramms können Ermittler in viel kürzerer Zeit Millionen Daten aus verschiedenen Quellen auswerten und verknüpfen. Bewährt habe sich die Software vor allem dort, wo massenhaft Daten anfallen – etwa, um Pädokriminellen auf die Spur zu kommen, erläuterte Kriminaldirektor Dirk Kunze aus der Praxis.
Daten-Krake und trojanisches Pferd?
Kritiker monieren, dass in dem System nicht nur Daten von Verdächtigen auftauchen, sondern etwa auch von Zeugen, Opfern oder Auskunftspersonen. Die SPD-Opposition spricht von «intransparenten Blackbox-Algorithmen aus den USA», die dort gemeinsam mit den Geheimdiensten entwickelt worden seien. «Palantir ist eine Daten-Krake, die überall drin ist, und es ist möglicherweise sogar ein Trojanisches Pferd, weil wir nicht wissen, was die Geheimdienste dort noch mit drin haben», hatte die Vizevorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Elisabeth Müller-Witt, kürzlich gewarnt.
Tatsächlich sei die von der NRW-Polizei genutzte Recherche-Plattform ein geschlossenes System ohne Verbindung zum Internet, erklärte Reul. Unter den rund 50.000 Beschäftigten bei der Polizei seien nur 1.900 Ermittler befugt, sie zu nutzen – und das auch nur bei schweren Straftaten wie etwa Tötungsdelikten, Kindesmissbrauch, Amok-Lagen und ähnlichen Gefahren für Leib, Leben und die persönliche Freiheit von Menschen.
Nur eine kleine zweistellige Anzahl leitender Ermittler habe in einem solchen Fall Zugriff auf alle Daten – alle anderen sähen bloß fallbezogene Ausschnitte, erläuterte Kriminaldirektor Kunze. Der Zeitvorsprung durch die Palantir-Software sei enorm.
Wo Zeit Leben rettet
In zahlreichen brisanten Lagen habe das System innerhalb weniger Minuten die passgenauen Daten ausgespuckt, wo man nach Tatverdächtigen suchen müsse. Das sei etwa bei den rechtsextrem motivierten Anschlagsplänen auf das Essener Don-Bosco-Gymnasium 2022 so gewesen oder auch beim Messer-Angriff auf mehrere Menschen vor einer Bielefelder Bar im Mai dieses Jahres.
Ohne die Palantir-Software hätte es in Essen etwa 48 Stunden gedauert, um die Informationen mit allen formalen Anträgen und behördlichen Antworten zusammenzutragen, schilderte Daten-Experte Kunze. «In so einer Situation ist das Gold wert. Das kann Leben retten.»
Pädokriminellen-Netzwerke sind nur noch mit KI zu durchforsten
Auch bei der Bekämpfung sexuellen Kindesmissbrauchs sei die Analyse-Plattform unverzichtbar. Hier drohe ansonsten allein durch die riesige Menge an Material ein Datenverlust und das Risiko, rückfällige Täter nicht zu entdecken. «In dem Spektrum gibt es eine große Anzahl auffälliger Personen», stellte der Kriminalist fest.
Die Software nutze aber nur Daten, auf die die Polizei ohnehin zugreifen dürfe, inklusive Einzelabfragen etwa bei Meldebehörde, im nationalen Waffen- oder Ausländerzentralregister, versicherte Kunze. Die Ermächtigung dazu gebe das Polizeigesetz.
Die Landesdatenschutzbeauftragte sei einbezogen und mit dem Verfahren zufrieden. Es gebe weder eine Rasterfahndung noch habe der Hersteller Zugriff auf die Polizei-Plattform – auch nicht durch Live-Updates.
Anders als in Bayern säßen in NRW auch keine Palantir-Mitarbeiter im Landeskriminalamt. «Die gucken bei uns nicht rein.» Tatsächlich sei die im Hochsicherheitszentrum des Statistischen Landesamts aufgebaute Plattform ein «gekapseltes System» in einer abgeschotteten Umgebung. «Wir sind ein komplett autonomer Betrieb», sagte Kunze.
Wer steckt hinter Palantir?
Gegen Palantir gibt es auch wegen seines Mitbegründers Peter Thiel Bedenken. Der für seine rechtskonservativen Positionen bekannte Tech-Milliardär provoziert Ablehnung durch seine Nähe zu US-Präsident Donald Trump und seine Kritik an liberalen Demokratien.
Das müsse aber von inhaltlichen Vorteilen des Produkts getrennt werden, unterstrich Reul. Ziel sei natürlich Unabhängigkeit von den USA und von Palantir. «Also schließe ich nur noch kurzfristige Verträge ab, um flexibel zu bleiben». Bei aller Kritik an Palantir müsse aber gleichzeitig bedacht werden: «Jetzt zu verzichten, würde bedeuten, bei Amoklagen oder Terroranschlägen möglicherweise nicht rechtzeitig die Informationen zusammenzubringen.»
Die beste Lösung wäre ein gemeinsames System für Bund und Länder, sagte Reul. Derzeit lässt Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) prüfen, ob die Palantir-Software bundesweit eingesetzt werden soll. Bislang wird sie in NRW, Bayern und Hessen genutzt.