Schwerte/Berlin (dpa) – Bloßstellende Videos und Fotos, gnadenlos schikanierende Posts, Hetze und Beleidigungen im digitalen Raum: Cybermobbing hält eine große Mehrheit der Bevölkerung einer Befragung zufolge für ein drängendes Problem und spricht sich für schärfere gesetzliche Maßnahmen aus. Das geht aus einer Online-Befragung des Civey-Forschungsinstituts von bundesweit 2.500 Personen ab 18 Jahren hervor, die der Verein Cybermobbing-Hilfe in Schwerte beauftragt hatte.
Drei Viertel der Befragten (knapp 76 Prozent) halten Cybermobbing demnach für ein großes Problem, sagte der Vereinsvorsitzende Lukas Pohland der Deutschen Presse-Agentur. Es werde eine große Unzufriedenheit mit den bestehenden Gesetzen deutlich: Fast zwei Drittel (64,5 Prozent) finden, dass die aktuellen strafrechtlichen Regelungen nicht ausreichen, um Betroffene effektiv zu schützen. Und ebenfalls rund 64 Prozent halten die Einführung eines eigenen Straftatbestands für Cybermobbing für die wirksamste Maßnahme, um das Problem zu bekämpfen.
Viele Länder haben ein Gesetz gegen Cybermobbing – Deutschland nicht
Die Bevölkerungsmehrheit fordere entschlossene gesetzliche Maßnahmen und mehr Schutz, was einen klaren Auftrag für die Politik bedeute, fasste der 20-jährige Pohland die Ergebnisse zusammen.
Es brauche ein eigenes Gesetz gegen Cybermobbing, das es in vielen anderen Ländern wie Österreich oder Frankreich bereits gebe, mahnte auch das Bündnis gegen Cybermobbing (Karlsruhe). Viele Menschen wüssten nicht einmal, dass sie eine Straftat begehen, wenn sie diffamierende Bilder ins Netz stellen und hämisch kommentieren, sagte der Vorstandsvorsitzende Uwe Leest der dpa.
Dabei spielt das Internet eine immer größere Rolle im täglichen Leben, wie der «Freizeit-Monitor 2024» jüngst gezeigt hatte. «Ein Cybermobbing Gesetz wäre wie eine rote Ampel», meinte Leest. Damit könne man Täter abschrecken. Und Opfer würden ermutigt, zur Polizei zu gehen. Aktuell sieht es nach Erfahrung des Bündnisses so aus: «Wenn wir der Polizei einen Cybermobbing-Fall melden, landet das im Stapel in der Regel ganz unten.»
Cybermobbing kann jeden treffen
Es sei «erschreckend, dass die gravierenden Folgen von Cybermobbing, die Betroffene täglich erleben, nicht ausreichend durch das Strafrecht abgedeckt werden», kritisierte Pohland, der als Junge einst einer drangsalierten Mitschülerin beistand und selbst Opfer von Cybermobbing wurde. Schon mit 14 Jahren begann er quasi vom Kinderzimmer aus, aktiv gegen das Problem vorzugehen und galt im Jugendlichenalter bereits als gefragter Experte. «Die Politik darf die Realität des digitalen Zeitalters nicht länger ignorieren.»
Im Netz finde praktisch kein Kinder- und Jugendschutz statt, hatten die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, und die Plattform Jugenschutz.net gerade erst kürzlich in ähnlicher Weise beklagt.
Uwe Leest stellte klar: «Jeder kann Opfer von Cybermobbing werden.» Überproportional stark seien aber jüngere Menschen betroffen: In der Altersgruppe 10 bis 18 Jahren sei von 16 bis 18 Prozent auszugehen. Ganz besonders häufig komme es zu Cybermobbing-Erfahrungen im Pubertätsalter (13 bis 16 Jahre) mit einem Betroffenen-Anteil von etwa 25 bis 30 Prozent.
Die Folgen können schwerwiegend sein
Zu den häufigen Folgen gehören Angst, Rückzug, Fernbleiben von der Schule, Wut, Essstörungen, Depressionen bis hin zu Suizidgedanken, berichtete Uwe Leest. «Bei Cybermobbing erleben wir meist psychische Verletzungen. Solche Belastungen wird man auch nicht so schnell los.»
Lukas Pohland betreibt mit mehreren jungen Mitstreiterinnen und Mitstreitern zwischen 14 und 21 Jahren schon seit einigen Jahren eine bundesweite Online-Cybermobbing-Beratungsplattform für in Not geratene Kinder und Jugendliche. «Es zeigt sich, dass die Beratung durch Gleichaltrige ein voller Erfolg ist und so tatsächliche Hilfe auf Augenhöhe erfolgen kann.»
Und zugleich treten bei der Beratungsarbeit die teils dramatischen Folgen für die Betroffenen zutage, wie Pohland schilderte. Die Uni Berlin habe die Online-Beratung evaluiert und dabei auch herausgefunden, dass ungewolltes Weiterleiten von Bildern bei Mädchen oft zu Scham- und Minderwertigkeitsgefühlen führe. Und: «Magersucht wird laut Studienergebnissen als zweithäufigste Art der Selbstgefährdung bei Cybermobbing angegeben.»
Experten sehen auch die Bundespolitik in der Pflicht
Das Bundesjustizministerium müsse gesetzliche Maßnahmen ergreifen, verlangte die Cybermobbing-Hilfe. Die jüngsten ablehnenden Aussagen von Bundesjustizminister Marco
Buschmann seien nicht nachvollziehbar, meinte Pohland. Die Innenminister der Länder hatten sich im Juni für einen eigenen Straftatbestand bei Cybermobbing ausgesprochen. Buschmann hatte sich gegen eine eigene Cybermobbing-Regelung im Strafgesetzbuch gewandt. Der Rechtsstaat halte schon sehr viele Instrumente bereit, hatte der FDP-Politiker im Juli gesagt. Vor allem müssten solche Straftaten konsequent ermittelt und zur Anklage gebracht werden.
Leest sagte, mit einem eigenen Straftatbestand und einem Cybermobbinggesetz würde die Polizei «etwas in die Hand bekommen, was klarer und griffiger ist und was hoffentlich auch zu Verurteilungen führt.» Wenn man das Problem in den Griff bekommen wolle, brauche man auch gesetzliche Prävention. Das sei ein wichtiger Baustein.
Eltern spielten ebenfalls eine große Rolle. Und die Präventionsarbeit an Schulen müsse vorankommen. Das Bündnis sei jedes Jahr an rund 200 Schulen im Einsatz. Gerade im schulischen Bereich müssten zudem Täter identifiziert und der Schule verwiesen werden, das werde Signalwirkung entfalten, ist der Bündnis-Vorsitzende überzeugt. Lukas Pohland mahnte: «Es ist höchste Zeit, dass das Internet kein straffreier Raum bleibt.»