Cornelia Stieler und Sebastian Wladarz, Bild: Stiftung Haus Oberschlesien
Cornelia Stieler und Sebastian Wladarz, Bild: Stiftung Haus Oberschlesien
Erfurt / Ratingen | Zu seinen Lebzeiten war er der bekannteste oberschlesische Komponist und Dirigent. Nach seinem Tod wurde er selbst in seiner Wahlheimat Thüringen vergessen. Erst nach und nach erinnert man sich wieder an Richard Wetz und führt seine Werke. Der 1875 im oberschlesischen Gleiwitz geborene Komponist schlägt mit seinem Lebensbogen eine Brücke zwischen seiner oberschlesischen Heimat, seinen beruflichen Stationen, die ihn auch nach Barmen und Bonn führen, sowie seinen späteren Wirkungsorten in Thüringen: Erfurt und Weimar. Diese Brücke bricht Wetz als Komponist, Dirigent und Lehrer bis zu seinem Lebensende nicht ab. Grund genug für die Stiftung Haus Oberschlesien (Ratingen) an einen hochbegabten, aber auch introvertierten und teilweise in sich zerrissenen Künstler zu erinnern, der als letzter Vertreter der Spätromantik gelten kann. Die CD ist hier erhältlich: https://vkjk.de/cds/richard-wetz.html
Richard Wetz sind die unterschiedlichen Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts bekannt, gleichwohl spielen sie in seinen Kompositionen keine wesentliche Rolle. Sein Klangideal wird größtenteils durch seine großen Vorbilder Anton Bruckner und Franz Liszt geprägt. Typisch für seine Werke sind die erstaunlich kontrapunktische Dichte, weit gespannte Phrasen und höchst kunstfertige harmonische Verästlungen. Wetz hinterlässt einen beachtliches Musikalisches Erbe: neben drei Symphonien ein Requiem, das Weihnachtsoratorium, die Kleist-Ouvertüre, drei Opern (eine unvollendet), zahlreiche Streichkonzerte und Choralwerke.
„Ich freue mich, dass es anlässlich des 150. Geburtstags des Meisters gelungen ist, sein Lebenswerk zu würdigen und etwas für die Nachwelt zu hinterlassen“, freut sich Stiftungschef Sebastian Wladarz. Das Projekt entstand spontan, so Wladarz, durch einen Kontakt mit dem Chorleiter Lukas Sommer. „Herr Sommer fand die Idee interessant. Spätestens nach einem Gang ins Landesmusikarchiv, wo er zahlreiche Manuskripte unveröffentlichter Werke fand, war er dann Feuer und Flamme, dieses kulturelle Erbe an die Oberfläche zu befördern“, sagt der Ratinger. Nur ein Konzert wäre zu wenig gewesen, so habe man sich geeinigt, einige unveröffentlichte Werke des oberschlesischen Meisters auf CD zu verewigen und dann auf Spotify zu veröffentlichen. Mit dem Altenburger Kamprad-Verlag war schnell ein kompetenter Partner für die Aufnahmen gefunden.
Doch dem Verlagsleiter Klaus-Jürgen Kamprad war auch die CD zu wenig. Diese interessante Persönlichkeit müsse näher unter die Lupe genommen werden, so Kamprad. So sei die Idee einer 15minütigen Filmdokumentation geboren worden, die das Leben von Richard Wetz nachzeichnen sollte. Entstanden ist ein Film von über 30 Minuten, der auch polnische Akteure einbindet, wie den Direktor des Museums der Stadt Gleiwitz Leszek Jodlinski, der das historische Umfeld in Wetz’ Geburtsstadt Gleiwitz darstellt. Die deutsch-polnische Kooperation zeichnet den Lebensweg des Komponisten nach, nimmt seine Wirkungsstätten unter die Lupe, seine durch Beziehungen zu Frauen nie abgebrochene Brücke zu seiner Heimatstadt, seinen strengen Katholizismus und versucht die Frage zu beantworten, wie sein umfangreiches und bedeutendes Werk in Vergessenheit geraten konnte. Dabei wird freilich auch nicht sein 20monatiger Irrweg mit Parteibuch ausgespart, von dem Wissenschaftler jedoch ausgehen, dass er aus opportunistischen Gründen eingeschlagen wurde und der sein Lebenswerk nicht überschatten darf. Zumal die Nationalsozialisten selbst einige Werke von Wetz als „entartete Kunst“ qualifizierten, er also kein Profiteur des Systems war. Wetz starb 1935 in Efurt. Er hat dort lediglich ein schlichtes Grab mit einem einfachen Kreuz.
Am vergangenen Wochenende fand dann im Festsaal des Erfurter Rathauses das Jubiläumskonzert und die Premiere des Dokumentarfilms „Richard Wetz – Ein Künstlerleben“ statt. Das junge Choralensemble „Ad Astra“ unter der Leitung von Lukas Sommer bot die bislang unveröffentlichten Choralwerke aus Wetz’ späterer Schaffensphase dar, in denen sein tiefer Glaube zum Ausdruck kommt. Für das junge Ensemble, das sich der Pflege selten zu hörender Chormusik verschrieben hat, war das Werk des oberschlesischen Meisters die erste Einspielung und Herausforderung zugleich. „Die Wechsel von Harmonie zu Polyphonie verlangen einem Klangkörper viel ab. Ich habe auch das Gefühl, dass Wetz ein Meister der Halbtöne ist“, so ein Chormitglied. Für die gebürtige Erfurterin Cornelia Stieler, neues Mitglied im Vorstand der Stiftung, war der Abend rundum gelungen: „Es ist schön, wenn Kulturerbe wiederentdeckt wird und in einer deutsch-polnischen Kooperation aufgearbeitet wird. Wir hinterlassen etwas für die nachfolgenden Generationen“. Im nächsten Jahr ist ein Konzert in Wetz’ Geburtsstadt Gleiwitz (heute: Gliwice/Polen) geplant.
Am Tag nach dem Konzert stand das Thema jüdisches Leben auf dem Programm. In Erfurt findet man extreme Kontrapunkte. Auf der einen Seite das UNESCO-Welterbe „jüdisch-mittelalterliches Erbe“ mit Alter Synagoge und Mikwe, auf der anderer Seite die Erinnerungsstätte „Topf und Söhne“. Das Unternehmen belieferte die Krematorien u.a. von Auschwitz und Birkenau mit leistungsfähigen Brennöfen. Zynisches Motto: „Stets gern für Sie beschäftigt…“ Cornelia Stieler: “Leben und Vernichtung so nah beieinander. Es ist unser aller Aufgabe, gegen das Vergessen anzukämpfen. Die Umfragen in meiner Wahlheimat Sachsen machen mir Angst.“