Markus Kiel nimmt seine Leser mit auf einen Streifzug durch das Niederbergische in den fünfziger Jahren. Foto: Mathias Kehren
Markus Kiel nimmt seine Leser mit auf einen Streifzug durch das Niederbergische in den fünfziger Jahren. Foto: Mathias Kehren

Velbert. „Heimat 1953“ lautet der Titel einer Neuerscheinung im Scala-Verlag, die zu einer Zeitreise in die Wirtschaftswunderjahre einlädt. Autor Markus Kiel hat den ersten Jahrgang der „Wülfrather Zeitung“ aus dem Jahr 1953 gesichtet und herausgearbeitet, was die Menschen damals im Niederbergischen bewegte.


Der Schatz habe schon länger auf seinem Dachboden geschlummert, berichtet Autor Markus Kiel. Allerdings bisher sehr grob verpackt. Der gesamte erste Jahrgang der „Wülfrather Zeitung – Niederbergische Heimat“, die ab September 1953 von Karl und Rolf Flothmann in Velbert herausgegeben wurde, umfasst insgesamt 100 Ausgaben. Ein handbreit dickes Buch im A3-Format voll lokaler Zeitgeschichte. Das Spannende daran, wollte aber erst noch herausgeholt werden.

Anfang des Jahres fasste Kiel, der sich bisher in seinen Veröffentlichungen der NS-Geschichte Wuppertals gewidmet hatte, den Entschluss, „etwas daraus zu machen“ und begann das Material zu sichten. Anders als es der Titel vermuten lässt, ging es bei der damaligen „Wülfrather Zeitung“ auch um die Städte Heiligenhaus, Velbert und das noch eigenständige Neviges. Ganze drei Monate arbeitete Kiel daran, die interessantesten und spannendsten Themen aus den Anzeigen und der Lokalredaktion herauszuarbeiten. Anschließend kommentierte und erklärte er alles, was Eingang in sein neues Buch fand, auf informative und auch amüsante Weise.

„Es lohnt sich vor allem diese Zeitung nicht wissenschaftlich, sondern als Quelle des Erlebens der Menschen vor 70 Jahren und auch eher teils humoristisch zu betrachten“, rät Autor Kiel. Dann lädt er seine Leser ein: „Tauchen Sie ein Stück mit ab in die Zeit vor 70 Jahren.“

„Wo gibt es das heute noch, dass eine Firma selbstlos städtisches Eigentum in Schuss bringt?“, fragt sich Autor Kiel mit Blick auf ein Ereignis in den fünfziger Jahren in Wülfrath. Da ging das anscheinend noch. Im Oktober 1953 wollten die Rheinischen Kalkwerke ihr 50-jähriges Jubiläum feiern. Anscheinend war die Stadthalle ihnen dafür nicht schön genug. So führte man kurzer Hand in Eigenregie eine Generalsanierung inklusive komplettem Anstrich der Außenfassade durch.

Manchen Schlagzeilen merkt man kaum an, dass sie vor 70 Jahren ersonnen wurde: „Neviges im Dornrößchenschlaf“ titelte ein Autor 1953 und ein paar Ausgaben später freut man sich über „230.000 Pilger in Neviges“. Und das zur Erinnerung: Der Mariendom, das Architekturkunstwerk von Gottfried Böhm, war damals noch gar nicht erbaut.

Im Druckbild der fünfiziger Jahre sind Fotos noch eine Seltenheit. Es dominiert eng geschriebener Text, ab und zu lockert auch eine Zeichnungen das Bild auf. Modische Herren- und Damenbekleidung wurde damals noch gern per Handzeichnung illustriert. Dafür trumpfte man besonders in Anzeigen gerne mit provokantem Text auf.

„Wo treffen sich die Fußkranken“, wird ernsthaft in einer Annonce gefragt, um anschließend ungeschönt Mittel gegen Hühneraugen und Schweißfüße anzupreisen. Auch mutet es heutzutage befremdlich an, wenn offen für den Nutzen von Alkoholika geworben wurde: „Frauengold“ hieß etwa ein „Wundermittel“, das laut Werbetext gegen Nervosität und Gereiztheit helfen und auch „blühendes Aussehen, erquickenden Schlaf und neuen Lebensmut“ schenken sollte.

In anderen Anzeigen fällt das komplett andere Frauenbild jener Zeit auf: „Unabhängige, ehrliche, ordentliche Frau, welche auch kochen kann“ wurde dort per Stellenanzeige gesucht. Daneben bemühte sich ein Arzt, ein „junges, aufgewecktes Mädel aus guter Familie mit guter Anschrift, Schulbildung und Umgangsformen“ als künftige Auszubildende zu finden.

Das Material für sein Buch, jene 100 Belegausgaben in gebundener Form, erhielt Markus Kiel, der als Ex-Wuppertaler seit 2007 in Wülfrath lebt, von Klaus Jann. Der war in Wülfrath gut bekannt als Herausgeber des „Roten Reporters“. „Wenngleich politisch kontrovers, begegneten wir uns respektvoll auf Augenhöhe“, so Kiel. Irgendwann bot Jann sein Ausbildungsgeschenk, jene gebundenen Erstausgaben, zum Kauf an. Man traf sich, unterhielt sich lange und am Ende wechselte der historische Zeitungsband für symbolische 15 Euro den Besitzer.

„Niederbergische Heimat 1953“ ist im Scala Verlag erschienen (ISBN 978-3-9824061-3-8) als Hardcover mit 108 Seiten im Format DIN A4. Das Buch kostet 24,80 Euro.