
Ratingen. Ein Rückblick auf Ratingens legendäres Autokino: die Filmstätte bot Familienvergnügen und Spätvorstellungen – und ist ein Symbol für den Wandel der Freizeitkultur.
Krachender Sound, kristallklare Bilder, gemütliche Sessel – so verstehen Kinobetreiber heutzutage die Präsentation von Filmvergnügen. Autokinos sind längst Auslaufmodelle, doch in der Region gibt es sie noch: beispielsweise in der Ruhrmetropole Essen. Dort laufen aktuelle Blockbuster, aber auch Klassiker aus längst vergangenen Kinozeiten. Ein Blick nach Essen dürfte bei so manchem Ratinger Erinnerungen wecken.
Wenn heute am Autobahndreieck Breitscheid (Früher das Autobahnkreuz Breitscheid) Autos im Sekundentakt vorbeirauschen, ahnt kaum jemand, dass sich dort einst am Kreuz der vielbefahrenen Autobahnen des Ruhrgebiets, ein Ort befand, an dem man mit seinem Wagen nicht einfach nur vorbeifuhr – sondern diesen gezielt ansteuerte, um das Kino zu besuchen. Das Autokino Ratingen-Breitscheid, direkt neben dem legendären Freizeitpark “Minidomm”, war ab Ende der 1960er Jahre ein Magnet für Filmfreunde aus der ganzen Region.
Eröffnet wurde das Autokino in den späten Sechzigern, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Miniaturpark. Eine 36 Meter breite Leinwand, groß wie ein fünfstöckiges Gebäude, ragte in den Himmel, davor reihte sich Stellplatz an Stellplatz – mehr als 600 Autos fanden hier Platz. Wer an warmen Sommerabenden die Zufahrt entlangrollte, umrundete zunächst einen imposanten Springbrunnen mit einer stilisierten Weltkugel – ein Symbol für Fernweh und den Hauch von Hollywood, der über Ratingen wehte.
Schon in den frühen 1970er Jahren sprach sich das neue Erlebnis weit über Ratingen hinaus herum. Besucher erinnerten sich später an die Nummernschilder: Sie kamen aus dem gesamten Ruhrgebiet, aus dem Rheinland, ja sogar aus dem Bergischen Land. „Das war wie ein kleiner Kurzurlaub“, erzählt ein damaliger Besucher. „Man fuhr raus aus der Stadt, und sobald man durch die Einfahrt am Brunnen fuhr, war man in einer anderen Welt.“
Popcornduft im Autoinneren
In den frühen Abendvorstellungen parkten Familien mit Kindern. Auf den Rücksitzen wurde genascht, Cola-Flaschen klackten – und durch die leicht geöffneten Fenster wehte der Duft von Popcorn, Pommes und Bratwürstchen, die man im zentralen Kioskhaus kaufen konnte in dem sich auch der riesige Projektor für die Leinwand befand. Wer mochte, ließ sich das Essen direkt ans Auto bringen – mit einem freundlichen Klopfen an die Seitenscheibe.
Die Autos standen auf leicht gewellten Reihen, sodass die Front höher als das Heck lag. Dadurch blickte man bequem durch die Windschutzscheibe auf die riesige Leinwand. Wenn man ungeduldig auf den Start der Vorführung wartete, betätigte man die Lichthupe und strahlte damit selber die Projektionsfläche an, aber genau wie auf den Straßen rundherum im richtigen Leben um die Oase der Cineasten, beschleunigt wurde dadurch nichts. Neben jedem Stellplatz stand eine Metallstange, an der ein Lautsprecher mit Kabel befestigt war. Wer wollte, nutzte diesen statt des Tons über das Autoradio. In kühlen Nächten sorgten Heizlüfter, die ebenfalls an den Säulen befestigt waren, für warme Luft im Innenraum – und gegen beschlagene Scheiben.
Später am Abend wechselte das Publikum. Aus den Familien wurden Paare, aus Paaren kleine Gruppen – junge Erwachsene, die das Autokino als Treffpunkt und Erlebnis verstanden. Man kam in mehreren Autos, reservierte nebeneinanderliegende Plätze und machte aus dem Kinoabend ein gemeinsames Ritual. „Wenn wir Glück hatten, standen wir alle nebeneinander“, erinnert sich ein Zeitzeuge. „Dann wurde der Film zum Gruppenerlebnis – jeder hatte seinen Platz für sich, aber wir waren doch zusammen.“
Der Wandel der Freizeitkultur
Mit dem Wandel der Freizeitkultur änderte sich auch das Programm. In den 1980er Jahren entstanden große Kinokomplexe in den Städten, mit mehreren Sälen und moderner Technik. Das Autokino reagierte – mit besonderen Filmen, oft aus dem Horror- oder Erotikgenre, die erst spät in der Nacht liefen. Was für viele ein prickelndes Abenteuer blieb, brachte anderen das Autokino in Verruf.
Um neugierige Blicke von außen zu verhindern, wurden hohe Sichtschutzwände errichtet. Wer früher von der Kölner Straße oder der Autobahn aus einen Blick auf die flimmernde Leinwand erhaschen konnte, sah nun nur noch Sichtschutzbarrieren. Die Offenheit, die das Autokino einst so besonders gemacht hatte, wich einem Gefühl der Abschottung.
Mit dem Ende des Minidomm 1992 schloss auch das Autokino seine Tore. Genehmigungen die für eine Erweiterung die den Weiterbetrieb hätte gewährleisten können, fehlten und die Besucherzahlen waren längst rückläufig. Wo früher die Autos in Reih und Glied standen, entstanden nach Abbruch der alten Strukturen später Gewerbeflächen, Hotels und Schnellrestaurants. Genau wie auch die Zeit des Videoverleihs, die sich ab den 80er-Jahren boomhaft entwickelte, ist diese Ära nun endgültig einer neuen Zeit gewichen.
Zurück bleibt mehr als nur Asphalt und Erinnerung. Für viele Ratinger war das Autokino ein Ort der ersten großen Filme – und manchmal auch der ersten großen Liebe. Es war eine Zeit, in der Kino noch ein Erlebnis war, das man teilte, ohne den eigenen Raum aufzugeben.
Das Autokino in Breitscheid steht damit sinnbildlich für eine Ära, in der Freizeit noch Abenteuer bedeutete. So wie die Rennen in den Sandbergen in Ratingen Ost, die Partys am Blauen See oder die Nächte im Remix, Golden Inn und Moonlight – alles Orte einer Generation, die sich ihre Freiheit auf ganz eigene Weise gestaltete und erlebte.
Heute erzählen nur noch Erinnerungen und ein paar vergilbte Fotos davon, wie es war, wenn Ratingen unter den Sternen leuchtete – nicht nur am Himmel, sondern auf einer Leinwand, die das Kino in die Welt der Automobile holte.