Mehr als zwei Jahre nach einem tödlichen Zugunfall in Hürth beginnt der Prozess gegen einen Angeklagten.
Mehr als zwei Jahre nach einem tödlichen Zugunfall in Hürth beginnt der Prozess gegen einen Angeklagten. Foto: Henning Kaiser/dpa

Brühl/Hürth (dpa/lnw) – Es ist ein Morgen im Mai, als ein Arbeitstrupp an einer Bahnstrecke südlich von Köln einen Job zu erledigen hat. Eigentlich Routine, die Männer schuften mal wieder direkt am Gleis – und wähnen sich offenbar in Sicherheit. Die Strecke sei gesperrt, heißt es. Doch das, was dann passiert, lässt zwei von ihnen nie mehr nach Hause zurückkehren.


Mehr als zwei Jahre ist es her, dass sich der tödliche Zugunfall in Hürth bei Köln ereignete. Ein Intercity-Zug fuhr damals mit hoher Geschwindigkeit in eine Baustelle ein, zwei Männer waren sofort tot. Die zentrale Frage, die sich immer noch stellt: Warum dachten sie, dass das Gleis gesperrt sei, obwohl es das nicht war?

Seit Dienstag wird vor dem Amtsgericht in Brühl in einem Prozess nach Antworten auf diese komplizierte Frage gesucht. Die mutmaßlich fatale Misskommunikation soll bis ins Detail aufgeschlüsselt werden. Das ist mehr als zwei Jahre später keine ganz einfache Aufgabe.

Emotionen im Gerichtssaal

Die Staatsanwaltschaft hat einen 54-Jährigen angeklagt, dem sie in dem Fall schwere Versäumnisse vorwirft. Der Mann, der damals für eine Sicherungsfirma im Einsatz war, habe damals behauptet, das Gleis sei gesperrt, so die Anklage – obwohl es dafür keine Bestätigung gegeben habe. Zudem habe er auch bei der Absicherung des Nebengleises, das nicht gesperrt werden sollte, Vorgaben nicht eingehalten. Aus Fahrlässigkeit habe er den Tod zweier Menschen verursacht, so der Vorwurf.

Was rasch klar wird: Auch nach mehr als zwei Jahren ist der Schmerz über den Tod der beiden Männer, damals 27 und 31 Jahre alt, noch greifbar. Weinend sitzt die Mutter eines Toten im Gerichtssaal, in dem die Temperatur an diesem heißen Sommertag stetig steigt. Angehörige treten als Nebenkläger auf. Auch im Publikum sitzen Menschen, die emotional involviert sind. Eine Frau brüllt während der Verhandlung: «Das wusste er, dass es nicht gesperrt war!»

Angeklagter weist Verantwortung von sich

Der Angeklagte, ein Mann mit ernstem Gesichtsausdruck, widerspricht dieser These. Er hat auch eine Skizze von den Gegebenheiten am Unglückstag angefertigt. Ihm, dem Mitarbeiter der Sicherungsfirma, und einem Verantwortlichen vom Bautrupp sei die Sperrung des Gleises damals auf mehrfache Nachfrage hin mitgeteilt worden – vom sogenannten Technischen Berechtigten, einem Bauüberwacher. Diese Information hätten sie dann entsprechend in ihre Teams getragen. Von dem Zug sei er selbst überrascht worden. 

Auf einmal habe er ein Pfeifen gehört und nach links geschaut, berichtet der 54-Jährige in seiner Aussage. «Dann hab‘ ich gesagt: ‚Raus, raus, schnell raus!“».

Sein Verteidiger betont, dass sich sein Mandant, der nach Angaben vor Gericht die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, damals ja sogar selbst in den Gefahrenbereich begeben habe. «Das macht ja keiner, der weiß: Da kommt gleich ein Zug», sagt er.

Wer wusste was – und wann?

Das Problem bei der Aufklärung des Falls im Prozess ist nun: Der sogenannte Technische Berechtigte, ein Ingenieur, macht als Zeuge keine Angaben. Und der dritte Mann, der nach Darstellung des Angeklagten bei dem relevanten Gespräch dabei war, ist bei dem Unfall ums Leben gekommen.

Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich tatsächlich gegen einen Technischen Berechtigten ermittelt, dieses Verfahren aber eingestellt. Nach den Ermittlungen habe sich ein «Sorgfaltspflichtverstoß» nicht «mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit belegen lassen», hieß es damals.

Zug war mit 160 Stundenkilometern unterwegs

Der Zugführer des Intercityzugs hatte damals in der Not noch versucht zu bremsen. Da der Zug aber bereits mit 160 Kilometern pro Stunde unterwegs war, betrug der Bremsweg volle 608 Meter.

Das Gericht will in den kommenden Wochen mehrere Zeugen hören, um herauszufinden, warum für die zwei Männer am Gleis jede Rettung zu spät kam.