Joachim Karwoczik mit Schülerinnen und Schülern des Langenberger Gymnasiums. Foto: Stadt Velbert/Helena Latz
Joachim Karwoczik mit Schülerinnen und Schülern des Langenberger Gymnasiums. Foto: Stadt Velbert/Helena Latz

Velbert. Schüler der Jahrgangsstufe 11 des Langenberger Gymnasiums werden sicherlich noch lange an die Geschichtsstunde vom 6. Mai denken, bei der sie neues Wissen aus einem Gespräch mit einem Zeitzeugen schöpfen konnten. Joachim Karwoczik, gebürtiger Schlesier, der nun schon seit mehr als 60 Jahren wieder in Deutschland lebt, erzählte ihnen von seiner eigenen Wahrnehmung der Geschichte, die Deutschland und Polen verbindet.

1940 gehörte Karwocziks Geburtsstadt Beuthen (Bytom) noch zu Deutschland. Dies änderte sich 1945, als Schlesien unter die polnische Verwaltung gestellt wurde. „Auf einmal waren wir Polen, ohne nur ein Wort Polnisch zu können. Unsere Muttersprache Deutsch durften wir von einem Tag auf den anderen nicht mehr sprechen. Das wurde sogar bestraft“, erinnert sich Karwoczik.

Noch im selben Jahr wurde er eingeschult, durchlief erfolgreich das polnische Schulsystem, machte Abitur und erhielt einen der umkämpften Studienplätze an der Universität Krakau (Kraków), um Journalist zu werden. Doch dann bekam seine Familie die lang ersehnte Ausreisegenehmigung nach West-Deutschland und er reiste mit aus.

Karwoczik, der in Deutschland Lehrer wurde, sprach mit den Schülern offen über seine Erfahrungen auf der Suche nach einem gesellschaftlichen Anschluss und dem eigenen Selbstverständnis: „Auch wenn ich zunächst unfreiwillig Pole geworden bin – so habe ich es damals empfunden – bin ich heute dem Schicksal dankbar, in beiden Kulturen aufgewachsen zu sein.“

„Denkt europäisch! Schaut mit einem europäischen Blick in die Zukunft! Lernt Sprachen, vor allem seltene! Und sucht nach Gemeinsamkeiten zwischen den Völkern, nicht nach den Unterschieden“, appellierte er an die Jugendlichen. „Ich bin ein Schlesier, Deutscher und Europäer mit einer ganz starken Schwäche für Polen.“

Auf die Frage, welche Städte in Polen auf jeden Fall besichtigt werden müssten, um der gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichte nachzugehen, nennt Karwoczik ohne zu zögern Krakau (Kraków), Danzig (Gdańsk) und Breslau (Wrocław).

Auch heute engagiert er sich stark für deutsch-polnische Beziehungen. Er übersetzt, organisiert und leitet Seminare für polnische Germanistikstudenten und arbeitet ehrenamtlich im Gemeindebeirat für Vertriebenen- und Spätaussiedlerfragen.

Die städtische Integrationsbeauftragte, Helena Latz, die im Rahmen der Europa-Woche an der Organisation des Zeitzeugengesprächs mitgewirkt hat, betont rückblickend die Bedeutung und die Aktualität derartiger Veranstaltungen: „Dank der Globalisierung leben heute immer mehr Menschen ihre kulturelle Mehrfachzugehörigkeit aus. Dies kann sehr bereichernd sein – für jeden Einzelnen und für die gesamte Gesellschaft, aber den Weg zu einem solchen Selbstverständnis muss man erst einmal finden. Joachim Karwoczik hat diesen Weg für sich gefunden und ich glaube, dass die Jugendlichen die eine oder andere seiner Anregungen in die eigenen Biographien mitgenommen haben und so ihre Ressourcen erweitern können. Europa bietet ihnen hierzu viele Möglichkeiten.“