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Wie die WHO prognostiziert, werden 2050 rund 70 Prozent der Bevölkerung in Städten leben. Das bedeutet noch mehr Lärm und schlechte Luft, noch mehr Enge und eine weiter sinkende Lebensqualität. Das bringt immer mehr Initiativen auf den Plan, die den Verkehr aus den Städten begrenzen, wenn nicht gar ganz heraushalten und gleichzeitig den Radverkehr stärken wollen.


Staus, Feinstaub und Lärm wirken sich negativ aus

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Rund 47 Millionen Autos sind auf deutschen Straßen unterwegs. Das sorgt für eine sinkende Lebensqualität in urbanen Zentren, für verstopfte Innenstädte und schlechte Luft. Immer wieder fällt in diesem Zusammenhang der Begriff „autofreie Stadt“, als ein Faktor, wie wir künftig in unsere Städten leben wollen. Schon jetzt können viele Städte die negativen Folgen des Stadtverkehrs kaum etwas entgegensetzen: Blechlawinen, Abgase, Feinstaub und Lärm wirken sich negativ auf Lebens- und Aufenthaltsqualität aus. Lebenswerte Städte jedoch bieten jedoch die Möglichkeit zur Ruhe und Rückzug. Städte der Zukunft, so das Ziel, folgen einem gesamtgesundheitlichen Ansatz, wandeln sich von einer Versorgungsumgebung zu einem Umfeld, in dem Wohlbefinden und Gesundheit eine große Rolle spielt.

Asphaltpisten werden zu Flaniermeilen

Autofreie Innenstädte heben zweifellos die Aufenthaltsqualität der Bewohner und Besucher. Straßen, auf denen sonst Fahrzeuge rollten, werden zu Kultur- und Flaniermeilen, dort entstehen Spielplätze und Grünanlagen. So sollen Innenstädte leiser, sauberer, klimafreundlicher und damit attraktiver werden. In seinem Positionspapier „Die Stadt von morgen“ beschäftigt sich das Bundesumweltamt mit autofreien Stadtteilen. Das funktioniert jedoch nur mit einer verbesserten Umweltmobilität, zum Beispiel mit der Verbesserung des Radwegenetzes in den Städten und verbessertem ÖPNV, was jedoch nur mit einem hohen finanziellen Aufwand gelingen kann.

Umbaumaßnahmen umgesetzt oder in Planung

In Österreich, im Wiener Stadtviertel Floridsdorf, gibt es seit zehn Jahren keinen Autoverkehr mehr. In Brüssel sind auf bereits 50 Hektar der Innenstadtfläche PKW verboten. Verschiedene Pilotprojekte in Deutschland versuchen bereits, mit autofreien Zonen gegenzusteuern: In Hamburg, im Stadtteil Ottensen, wurde bereits 2019 ein halbes Jahr lang die Durchfahrt für Autos gesperrt, Straßen wurden zu Fußgängerzonen umgewidmet. München plant ähnliches. Die derzeit größte autofreie Zone in Deutschland liegt in Köln. Die Hannoveraner Innenstadt soll – nach dem Willen des Oberbürgermeisters Belit Onay – diesen Beispielen folgen, an einem Konzept wird gearbeitet. In anderen Städten in Deutschlandwird wird derzeit darüber nachgedacht, den Verkehr aus den Stadtkernen herauszuhalten. Überlegungen, die Umweltschutz und Lebensqualität Chancen bieten, die Planer aber gleichzeitig vor große Herausforderungen stellen. Auch für die Kölner Innenstadt sind Umbaumaßnahmen geplant, die den Verkehr reduzieren und die Aufenthaltsqualität erhöhen sollen. Die Innenstadt in Wuppertal zum Beispiel soll bis zum Jahr 2027 autofrei werden. Verwirklichen werden soll dieses Ziel durch das private und gemeinnützige Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie. Für ein Konzept sollen Einzelhändler, Autofahrer, Bewohner und Besucher mit ins Boot geholt werden. Eine der Fragen, die sich hier – und nicht nur in Wuppertal – stellt, ist jene, wo Autos von Bewohnern und Besuchern abgestellt werden können. Eine Lösung wird in Parkhäusern gesehen.

Lebensqualität steigern

Wie lebenswerter Raum entstehen kann, beschäftigt derzeit Wissenschaftler und Stadtplaner, die neue Mobilitätskonzepte und Infrastrukturen entwickeln, die Städte aus Gründen des Klimaschutzes und einer verbesserten Aufenthaltsqualität begrünen und eben auch Konzepte für autofreie Städte vorlegen. Allerdings sind viele Deutsche vom Thema autofreier Innenstädte nicht überzeugt, zu diesem Ergebnis kommen verschiedene Befragungen, wie zum Beispiel eine Umfrage von Statista und YouGov belegt: Während 45 Prozent der Befragten autofreie Innenstädte befürworten, sind 48 Prozent dagegen. Die mangelnde Zustimmung der Bürger fußt vielfach auf der Meinung, dass das Auto als Teil der persönlichen Freiheit Erreichbarkeit und Bequemlichkeit garantiert.

Innenstädte bluten aus

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Die Berliner Initiative „Berlin autofrei“ hat innerhalb von drei Monaten über 50000 Unterschriften gesammelt und damit das notwendige Quorum für einen Volksentscheid erreicht. Ab Februar 2022, heißt es, hat das Abgeordnetenhaus vier Monate lang Zeit, über den von der Initiative vorgelegten Gesetzentwurf zu beraten. Anschließend soll es in die zweite Phase der Unterschriftensammlung gehen. Doch auch, wenn autofreie Städte für mehr Lebensqualität sorgen, indem Lärm und Abgase aus den Zentren gehalten wird, muss gleichzeitig gewährleistet sein, dass die Innenstädte für alle erreichbar bleiben.

Das ist nicht nur für Arbeitnehmer wichtig, sondern auch für den Einzelhandel. Allerdings veröden die Innenstädte ohnehin immer mehr, weil ganze Verbraucherschichten zum Onlinehandel wechseln. Insofern sind auch hier Lösungen gefragt, wie sterbende Innenstädte wieder zu belebten Zentren werden können, denn dass autofreie Innenstädte nur dann Sinn machen, wenn die Aufenthaltsqualität hoch ist liegt auf der Hand. Und: Gute Konzepte braucht es für die innerstädtische Mobilität. Hier wären die Optimierung des ÖPNV sowie die Stärkung des Rad- und Fußgängerverkehrs zu nennen. Stadtplaner stehen hier vor großen Herausforderungen.

Die „15-Minuten-Stadt“

Ein solcher Umbau der städtischen Infrastruktur ist in Köln-Nippes bereits ansatzweise Realität, und zwar im Stellwerk60 als derzeit größte autofreie Siedlung Deutschlands. Autos sind hier verboten, die Bewohner müssen sich dazu verpflichten, keinen PKW anzuschaffen. Eingekauft wird mit dem Bollerwagen – täglich  frisch – in den vielen kleinen Geschäften im Viertel. Im größeren Stil ist diese Lebensform die Idee einer polyzentrischen Stadt: Weg vom zentralen Stadtkern, werden die einzelnen Viertel einer Metropole wieder mit Geschäften, Freizeit und Arbeit gefüllt. Paris, das dieser Idee folgt, plant die sogenannte „15-Minuten-Stadt“, in der in jedem Viertel innerhalb von 15 Minuten zu Fuß alles zu erreichen ist, und Barcelona überlegt, 400 mal 400 Meter großen Blocks zu errichten, in denen Autos verboten sind. Die Idee der „15-Minuten-Stadt“ wurde an der Sorbonne in Paris entwickelt. Mit diesem Konzept wären Autos nicht mehr nötig, und die Lebensqualität steigt. Nicht zuletzt deshalb, weil die Zahl der sozialen Kontakte steigen wird, wenn sich Menschen überwiegend in ihrem Quartier aufhalten würden.

Wie können Freiräume genutzt werden?

Durch autofreie Innenstädte entstehen neue Freiräume. Wie diese genutzt werden können, ist eine der zentralen Fragen, mit der sich Politik und Stadtplaner beschäftigen müssen, um den Bedürfnissen der Bürger Rechnung zu tragen. Dazu braucht es möglichst viele unterschiedliche Perspektiven: Was wünschen sich Familien? Welche Bedürfnisse haben ältere Personen? Hinzu kommen Aspekte des Klimawandels, die die Planer berücksichtigen müssen, denn in vielen Städten ist es durch die Versiegelung und zu wenig Grün im Sommer viel zu heiß. München gilt mit knapp der Hälfte bebauter oder betonierter Fläche als die am stärksten versiegelte Stadt in Deutschland. Am Beispiel von Karlsruhe haben Forscher berechnet, dass es auf dem Marktplatz der Stadt künftig bis zu fünf Grad heißer werden könnte, wenn sich das Weltklima um zwei Grad erwärmt. Bei einem weltweiten Anstieg der Temperaturen um drei Grad wären die Karlsruher auf ihrem Marktplatz 37 Grad Celsius ausgesetzt.

Wie kommen die Waren in die Stadt?

Wie kommt die Ware in die Geschäfte? Wie werden Restaurants beliefert? Womit sind Lieferdienste unterwegs? Noch gibt es vergleichsweise wenig E-Mobilität in den Stadtkernen. Eine weitere Herausforderung bei der Umsetzung autofreier Städte stellen die Bedürfnisse der in den Innenstädten ansässigen Sozialdiensten, Produktionsbetrieben, Händlern und Gastronomie dar, die naturgemäß auf Lieferverkehr angewiesen sind. Eine autofreie Innenstadt muss deshalb auch verkehrstechnisch geplant werden. Hier sind außerdem viele Details zu klären, um logistische Prozesse effizient zu gestalten. Wenn kleinere Händler in den Städten nicht mehr zuverlässig mit Waren beliefert werden können, können Innenstädte durch Geschäftsaufgaben oder Umzüge weiter veröden. In Dortmund wurde bereits versucht, den Lieferverkehr im Rahmen eines Pilotprojekts, an dem sich große Unternehmen wie UPS und Amazon beteiligten, zu bündeln: Am Rande der Innenstadt wurde ein Depot eingerichtet, das von großen Fahrzeugen mit Waren beliefert wurde. Der Weg in die Innenstadt wurde jedoch mit Lastenfahrzeugen oder E-Fahrzeugen zurückgelegt. Für kleinere Unternehmen jedoch ist eine Umrüstung auf E-Mobilität oft unbezahlbar.