Städte könnten bald gezwungen sein, für Rettungseinsätze Gebührenbescheide an die Bürgerinnen und Bürger zu schicken. (Symbolbild)
Städte könnten bald gezwungen sein, für Rettungseinsätze Gebührenbescheide an die Bürgerinnen und Bürger zu schicken. (Symbolbild) Foto: Oliver Berg/dpa

Essen (dpa/lnw) – Auf Patienten in Nordrhein-Westfalen könnten ab dem Jahreswechsel hohe Kosten zukommen, wenn sie den Rettungsdienst alarmieren. Die Stadt Essen legt nun als erste Stadt konkrete Berechnungen vor: Demnach müssen Patienten 267 Euro Eigenanteil bezahlen, wenn sie einen Krankenwagen brauchen. Für einen Krankentransport etwa zur Dialyse oder zur Chemotherapie will die Stadt den Bürgern demnach 62 Euro in Rechnung stellen – zusätzlich zu dem Betrag, den die Krankenkasse zahlt.


Hintergrund ist ein Streit ums Geld zwischen den Kommunen und den Krankenkassen. Weil die Verhandlungen festgefahren sind, sehen mehrere Kommunen keinen anderen Ausweg, als die Patienten für Rettungseinsätze zur Kasse zu bitten. Mehrere Kreise und Großstädte in NRW haben bereits solche Regelungen angekündigt.

Wer zahlt für Fehlfahrten?

Bei dem Streit geht es vor allem um die Kosten für sogenannte Fehlfahrten. Sie entstehen, wenn ein Rettungswagen gerufen wird, letztlich aber kein Patient ins Krankenhaus kommt. Nach Angaben der Kommunen machen solche Fahrten bis zu 25 Prozent aller Einsätze aus. Geld bekommen die Träger der Rettungsdienste – also Städte und Kreise – für solche Fehlfahrten in der Regel nicht.

Die Kosten dafür wurden bislang einfach auf alle tatsächlichen Einsätze umgelegt. Doch das wollen die Krankenkassen nicht länger mitmachen und berufen sich auf geltende Bundesgesetze.

Kommunen bleiben auf 250 Millionen Euro sitzen

Sollten die Krankenkassen ab dem Jahreswechsel Ernst machen, blieben die Kommunen in NRW auf Kosten von mindestens 250 Millionen Euro jährlich sitzen, rechnet der Städtetag NRW vor.

Auch das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium sieht bislang keine Möglichkeit, den Kommunen zu helfen. Das Land habe keine rechtliche Handhabe, die Krankenkassen zur Kostenübernahme für Fehlfahrten zu verpflichten, erklärte das Ministerium zuletzt.

Zahlen müssten die Patienten

Welche teuren Folgen das für Patienten konkret haben könnte, zeigt nun erstmals die Berechnung der Stadt Essen: 1.020 Euro kostet ein Einsatz eines Rettungswagens dort laut Gebührenordnung. Die Rechnung dafür will die Stadt auch künftig zunächst an die Krankenkasse des Patienten schicken.

Allerdings sei zu erwarten, dass die Krankenkassen wegen des Streits um die Fehlfahrten den Rechnungsbetrag ab dem kommenden Jahr mindern und nur einen Teil der Summe überweisen werden, schreibt die Stadtverwaltung in einer Vorlage für den Stadtrat. Konkret geht sie davon aus, dass von jeder Rechnung für einen Rettungswagen-Einsatz 267 Euro offen bleiben.

Über diese Summe werde man dann einen Gebührenbescheid an den jeweiligen Patienten schicken müssen.

«Mir bleibt im Moment keine andere Möglichkeit»

«Ich sehe diese Lösung selbst sehr kritisch, aber mir bleibt im Moment keine andere Möglichkeit, als das auf die Bürger abzuwälzen», sagte Essens Ordnungsdezernent Christian Kromberg der «WAZ».

Der Rhein-Sieg-Kreis rechnet ganz ähnlich: Dort nennt die Kreisverwaltung zwar keine konkreten Summen, erwartet aber, dass die Krankenkassen die Fahrten der Rettungswagen im kommenden Jahr nur noch zu etwa 70 Prozent bezahlen werden.

Krankenkassen sehen keinen Spielraum

Die Krankenkassen argumentieren, die Rechtslage lasse ihnen gar keinen Spielraum: Sie dürften nur für Kosten aufkommen, die für die Versorgung ihrer eigenen Versicherten entstehen, schreiben sie in einer gemeinsamen Stellungnahme. Sonstige Kosten – etwa für Fehlfahrten von Rettungswagen – müssten die Kommunen selbst tragen.

Vor allem aber fordern die Krankenkassen eine Reform des Rettungsdienstes in Nordrhein-Westfalen. Es müsse «deutlich effizientere und schlankere Strukturen» geben – das würde auch Kosten sparen.

Kommunen rufen Bund und Land zum Handeln auf

Die Kommunen rufen die Bundespolitik dringend zum Handeln auf – nur der Bund könne die Lücken in den gesetzlichen Regelungen schließen. Zwei Reformen der Notfallversorgung seien dort seit 2019 gescheitert, kritisiert die Essener Stadtverwaltung.

Der Städtetag fordert auch das NRW-Gesundheitsministerium auf, schnell zu handeln und in den Verhandlungen mit den Krankenkassen zu vermitteln, damit doch noch eine Lösung gefunden werde. Sonst drohten Gefahren für die Gesundheitsversorgung der Menschen in Nordrhein-Westfalen. Denn wer zum ersten Mal eine Rechnung über einen Rettungseinsatz bekomme, überlege beim nächsten Notfall zweimal, ob er die 112 wähle.