In Gleiwitz fand das Gedenken statt. Foto: OSLM
In Gleiwitz fand das Gedenken statt. Foto: OSLM

Ratingen/Gleiwitz. 85 Jahre ist es her, dass Nazi-Deutschland mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg entfesselte. Während auf Regierungsebene jeder für sich gedachte, wollten die Beteiligten auf regionaler Ebene ganz bewusst ein Zeichen setzen.


Zum ersten Mal nahm eine deutsche Delegation beim Gedenken im oberschlesischen Gleiwitz (Gliwice) teil. Neben dem Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland Marcin Tyślik waren die Vorstandsmitglieder der Stiftung Haus Oberschlesien Nikolaus Pohr und Sebastian Wladarz daran zugegen. Letztgenannter legte auch im Namen des Ministers für Bundesangelegenheiten, Europa, Internationales und Medien und Chefs der Staatskanzlei Nathanael Liminski einen Kranz für die Opfer des 2. Weltkriegs nieder.

„Es ist schade, dass es bei einer Außenministerin mit Wurzeln in Oberschlesien, also dem heutigen Polen, nicht möglich war, ein gemeinsames Gedenken zu organisieren. Ohne einer bestimmten Seite einen Vorwurf zu machen, möchte ich unterstreichen, dass es deshalb wichtig war, auf regionaler Ebene deutlich zu machen, dass eine gemeinsame Erinnerungskultur gewünscht ist. Das ist hier in Gleiwitz gelungen, weil wiederum die polnische Seite die Hand ausgestreckt hat“, erklärt der Ratinger Ratsherr.

Gleiwitz ist insofern wichtig für das Gedenken an den Ausbruch des 2. Weltkriegs, weil einerseits genau einen Tag vor dem besagten Datum die so genannte „Gleiwitzer Provokation“ stattfand. Mit dem fingierten Überfall auf den Reichssender Gleiwitz wollte Hitler der Welt vorgaukeln, dass Polen der eigentliche Aggressor sei. Das Besondere an dieser, zugegebenermaßen dilettantisch ausgeführten, Aktion war, dass zum ersten Mal Massenmedien zur Verbreitung von Faknews benutzt wurden. Ein Thema, das aktueller ist, denn je.

Andererseits liegen in Bojków (ehemals Schönwald, Stadtteil von Gleiwitz) zwei polnische Soldaten, Verteidiger der Westerplatte begraben. Der Angriff des Schlachtschiffs Schleswig-Holstein auf die Westerplatte markierte den Beginn der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts. An der Renovierung der Gräber der beiden Helden waren 2014, zum 75. Jahrestag, auch das Haus Oberschlesien aus Ratingen beteiligt. Seitdem bestehen gute Verbindungen zu den Partnern in Bojków. Zuletzt hatte im März dieses Jahres der Knabenchor Hösel – Die Rheinischen Sängerknaben anlässlich des 755. Jubiläums des Ortes ein Konzert „Pro Unitate Europae“ gegeben und als Zeichen des Friedens auch die Europahymne am besagten Sender Gleiwitz gesungen (der WDR berichtete).

In seiner Rede betonte Stiftungsvorsitzender Sebastian Wladarz, dass es in Deutschland immer noch Defizite im Wissen um die polnischen Opfer des 2. Weltkriegs gebe. Gleichzeitig appellierte er an das Gegenseitige Vertrauen: „Es gibt noch Wunden, die nicht verheilt sind und in Polen gibt es immer noch das Gefühl, dass es seitens der Deutschen ein gewisses Desinteresse an diesen wunden Punkten der Geschichte gebe. Deshalb brauchen wir gemeinsame, innovative Projekte, die das gegenseitige Vertrauen stärken“.

In Gleiwitz, speziell in Bojków, gelinge das zunehmend gut. Das gemeinsame Gedenken sei ein Ausdruck dafür. „Ich war positiv beeindruckt, wie viele junge Menschen sich dazu an einem Sonntag um 4:45 Uhr morgens eingefunden haben. Das liegt natürlich daran, dass Schulen und Jugendverbände ganz früh in die Planung eingebunden werden. Hier können wir uns noch was abgucken“, ist sich der gebürtige Gleiwitzer sicher, der schon ein weiteres Projekt mit den oberschlesischen Partnern in Aussicht hat. „Ich habe das Gefühl, dass wir auf Regierungsebene nach der Anfangseuphorie des Regierungswechsels in Polen etwas schnell wieder in der Ernüchterungsphase angekommen sind. Umso mehr sind wir auf regionaler, zivilgesellschaftlicher Ebene gefordert, innovativ zu sein und richtige Impulse zu setzen“, resümiert Sebastian Wladarz und betont dabei die Bedeutung der Regionalpartnerschaft NRWs mit der Woiwodschaft Schlesien.