Marie und Anna Khabyuk beim Ukrainian Carol of the Bells. Foto: Stiftung Haus Oberschlesien
Marie und Anna Khabyuk beim Ukrainian Carol of the Bells. Foto: Stiftung Haus Oberschlesien

Ratingen. Es ist ein besonderes Stiftungsfest am vergangenen Sonntag in Hösel gewesen, denn vor genau 60 Jahren das Land Nordrhein-Westfalen die Patenschaft über die in der damals noch jungen Bundesrepublik lebenden Oberschlesier übernommen.


„Dass die Stiftung 1971 zum Ankauf des damaligen Hauses Oberschlesien einen Zuschuss bekam, basierte im Wesentlichen auf dieser Patenschaft“, erinnert sich Stiftungsvorsitzender Sebastian Wladarz. Entsprechend war im Haus Oberschlesien großer Bahnhof: Parlamentarischer Staatssekretär im Heimatministerium des Landes Nordrhein-Westfalen Josef Hovenjürgen, Bundestagsabgeordneter Peter Beyer, stellvertretende Landrätin Elke Thiele, stellvertretender Bürgermeister Ewald Vielhaus, Vertreter der Ratsfraktionen und weitere Gäste aus Politik und Gesellschaft fanden sich ein, um das Jubiläum zu begehen.

Trotz des gewichtigen Jubiläums waren sich dennoch alle einig, dass das Stiftungsfest- und Weihnachtskonzert den Hauptteil der Veranstaltung bilden sollte. Deshalb fassten sich die Redner relativ kurz, ohne jedoch die wichtigsten Botschaften zu unterschlagen: Das Land stehe zur Patenschaft, die nun um eine Regionalpartnerschaft des Landes Nordrhein-Westfalen mit der oberschlesischen Woiwodschaft Schlesien erweitert wurde, so die klare Botschaft des parlamentarischen Staatssekretärs Josef Hovenjürgen. Stiftungsvorsitzender Sebastian Wladarz ergänzte, „dass wir diese Regionalpartnerschaft perspektivisch mit der neuen ukrainischen Partnerregion zusammen denken müssen. Man habe beim Thema „nie wieder Krieg, Flucht und Vertreibung“ gewissermaßen versagt.

„Deswegen müssen wir daran arbeiten, dass die Menschen in der Ukraine nach Kriegsende eine Perspektive bekommen und diese kann nur die Europäische Union heißen“, so der gebürtige Gleiwitzer. Lob gab es seitens der Landesregierung für den Erhalt von Traditionen und Werten, für die immense Integrationsleistung aber auch insbesondere für die verständigungspolitische Arbeit der Oberschlesier, „die gerade in diesen Zeiten weiterhin wichtig bleibt“, so der parlamentarische Staatssekretär.

Übergabe der Projektkooperation zwischen Cornelia Stieler (Schönwalds Erben) und Sebastian Wladarz (Stiftung Haus Oberschlesien). Foto: Stiftung Haus Oberschlesien
Übergabe der Projektkooperation zwischen Cornelia Stieler (Schönwalds Erben) und Sebastian Wladarz (Stiftung Haus Oberschlesien). Foto: Stiftung Haus Oberschlesien

In der Tat ist das deutsch-polnische Stimmungsbarometer so schlecht, wie seit Jahren nicht mehr. Wie mühsam Versöhnungsarbeit auch heute noch sein kann, zeigte Sebastian Wladarz in einer Anekdote auf. Kürzlich sei im Gleiwitzer Stadtteil Schönwald (heute: Bojków, Gliwice / Polen) eine bis dato unbekannte Route des Todesmarsches aus Auschwitz entdeckt worden.

Gemeinsam mit Nachfahren dieses ehemaligen Nazi-Vorzeigedorfes und polnischen Akteuren wolle man nun, anlässlich des 80. Jahrestages im nächsten Jahr, dieses dunkle Kapitel gemeinsamer Geschichte aufarbeiten. „Das ist ein so heißes Eisen, dass wir uns bei der letzten Videokonferenz teilweise Ergebnislos vertagen mussten. Das ist natürlich auf der Zeitschiene frustrierend aber letztlich muss ein Konsens her“, erzählt der Oberschlesier aus dem Nähkästchen und weist hin, dass deutsch-polnische Versöhnungsarbeit nicht ohne Herzblut gemacht werden könne. Es seien viel Geduld und Empathie, Verständnis für das Unverständliche sowie ein langfristiges Denken vonnöten. Aber genau in dieser Zusammenarbeit sieht er die Zukunft der Patenschaft, gemäß dem Motto der Stiftung „Erbe erhalten – Europa“ gestalten. „Insofern war die Patenschaftserklärung, für die wir dem Land Nordrhein-Westfalen herzlich danken, unter Berücksichtigung der damaligen Rahmenbedingungen, einfach visionär. Man darf nicht vergessen, dass die Vorbereitung auf die Rückkehr in die deutsche Heimat damals noch klares Postulat der Vertriebenenverbände war“. Dennoch haben die Oberschlesier die Aufgabe gut gemeistert, glaubt Wladarz.

Immerhin konnte am Sonntag aber schon eine Projektkooperationserklärung zum Gedenkprojekt ausgetauscht werden. Zwischen dem 17. Und 19. Januar 2025 werde es ein bildungspolitisches Programm in Auschwitz und Gleiwitz geben, dass mit einer offiziellen Enthüllung des neuen Denkmals und einem Gedenkkonzert abgeschlossen werden soll. Und das scheint so interessant zu sein, dass die Stiftung am Sonntag erstmalig in ihrer Geschichte ein Team des britischen Senders BBC aus London begrüßen durfte. Die Journalisten schauten sich zunächst Schönwälder Exponate, zumeist die berühmten Stickereien, in der Dauerausstellung an und führten danach ein Interview mit der Vorsitzenden des Vereins Schönwalds Erben. Dort sind die Nachfahren ehemaliger Schönwälder zusammengeschlossen, die sich der Verständigung mit den neuen Einwohnern des heutigen Bojków verschrieben haben. Das Stiftungsfest- und Weihnachtskonzert rundete den Besuch der Medienvertreter von der Insel ab, die im Januar auch nach Gleiwitz kommen werden, um die Berichterstattung über das Projekt abzurunden.

Ansonsten haben sich die Oberschlesier, auch wenn sie allen Grund gehabt hätten, nicht zu sehr in den Vordergrund gestellt. „Die Farben Gold und Blau stehen für Oberschlesien, genau umgekehrt herum für die Ukraine. Sie stehen aber auch für die Europäische Union. Heute jedenfalls sind sie Farben der Solidarität“, sagte Wladarz. Und so geht die Spendensammlung des Stiftungsfestkonzerts an den Ratinger Verein pro Ukraine e.V. Dieser unterstützt humanitäre Maßnahmen und Bildungsprojekte. Bedankt haben sich die Ukrainer schon im Voraus. Die Schwestern Marie und Anna Khabyuk boten als Duo in farbenfrohen ukrainischen Trachten eine Accapellaversion des Ukrainian Carol of the Bells dar, was beim Publikum fantastisch ankam.

Insgesamt löste das Stiftungsfest- und Weihnachtskonzert bei Publikum wohlgefallen aus. Die Zuhörer merkten alsbald, dass Sopranistin Nicole Rhoslynn, Tenor Heiko Reissig und der Knabenchor Hösel – Die Rheinischen Sängerknaben mittlerweile ein eingespieltes Team sind. Immerhin gab es in diesem Jahr schon mehrere gemeinsame Auftritte im In- und Ausland. Und so schmolzen die Besucher bei Rhoslynns „Ave Maria“ von Schubert regelrecht dahin. Beim Finale mit dem Weihnachtsklassiker „O du fröhliche“ hat sich dann keiner mehr im Publikum nehmen lassen, mit voller Inbrunst mitzusingen. Bei „oberschlesischer Weihnachtssuppe“ und niederschlesischem Wein klang sodann ein Abend aus, „an den wir uns sicherlich lange und gerne erinnern werden“. Die neubegründete Tradition der Stiftungsfest- und Weihnachtskonzerte soll auf jeden Fall im nächsten Jahr, „so Gott will“, fortgeführt werden.