Wülfrath. Die Stadt Wülfrath will bei rechtlichen Auswirkungen durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts zu den Abwassergebühren „im Interesse der Bürgerinnen und Bürger“ entscheiden. Abschließend geklärt ist die Sache aber nicht.
Mit Urteil vom 17. Mai hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in einem Musterverfahren seine bisherige und langjährige Rechtsprechung zum Ansatz von kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen bei den Abwassergebühren geändert.
Konkret hatte ein Bürger aus Oer-Erkenschwick gegen die Festsetzung der Abwassergebühren für das Jahr 2017 geklagt. Die eingelegte Klage wurde vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im Jahr 2020 zurückgewiesen. Die darauffolgende Berufung des Klägers beim Oberverwaltungsgericht hatte nun Erfolg – das Oberverwaltungsgericht hob den Gebührenbescheid auf. Das Oberverwaltungsgericht begründet seine Entscheidung damit, dass eine Abschreibung der Entwässerungsanlagen auf Basis des Wiederbeschaffungszeitwertes (hochgerechneter Preis für die zukünftige Neubeschaffung einer Anlage) sowie einer kalkulatorischen Verzinsung des Anlagevermögens mit dem Nominalzinssatz (einschließlich Inflationsrate) unzulässig ist.
Diese betriebswirtschaftliche vertretbare Kombination von Abschreibungen und Zinsen widerspricht nach Ansicht des Gerichts dem den geltenden Vorschriften zugrundeliegenden Kalkulationszweck. Aus dem in der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen festgelegten Zweck der Gebührenkalkulation ergibt sich, dass mit den Abwassergebühren nicht mehr als die dauerhafte Betriebsfähigkeit der öffentlichen Einrichtung der Abwasserbeseitigung sichergestellt werden darf.
Mithin dürfen gebühren nur erhoben werden, soweit sie zur stetigen Aufgabenerfüllung der Abwasserbeseitigung notwendig sind. Der gleichzeitige Ansatz einer Abschreibung des Anlagevermögens auf Basis von Wiederbeschaffungszeitwerten sowie einer kalkulatorischen Nominalverzinsung widerspricht aber diesem Zweck, weil er einen doppelten Inflationsausgleich berücksichtigt. Das Gericht beurteilt auch den von der Stadt in der Gebührenkalkulation für 2017 angesetzten Zinssatz von 6,52 Prozent, der auf Basis der bisherigen Rechtsprechung ermittelt wurde, für sachlich nicht mehr gerechtfertigt. Der hier gewählte Nominalzinssatz für Eigen- und Fremdkapital wurde aus einem fünfzigjährigen Durschnitt für festverzinsliche Wertpapiere inländischer Emittenten zuzüglich eines 0,5 Prozentigen Zuschlags für höhere Fremdkapitalzinsen ermittelt.
Der auf diese Weise ermittelte Zinssatz geht über eine angemessene Verzinsung des aufgewendeten Kapitals hinaus und bedarf einer Anpassung. Im Urteil wird deshalb ausgeführt, dass ein zehnjähriger Durchschnitt dieser Geldanlagen ohne eine zusätzlichen Fremdkapitalzuschlag als angemessen erachtet wird.
Auch andere Gebühren betroffen
In dem Urteil zugrundeliegenden Vergleichszeitraum – nämlich dem Gebührenjahr 2017 – ergibt sich hieraus ein angemessener Zinssatz von 2,42 Prozent. Neben den Abwassergebühren sind in Wülfrath von diesem Urteil auch andere Benutzungsgebühren wie die Abfallgebühren, die Gebühren für Straßenreinigung und Winterdienst, die Friedhofsgebühren und auch die Rettungsdienstgebühren betroffen.
Allerdings hat das zu berücksichtigende Anlagevermögen bei den Abwassergebühren das mit Abstand höchste Volumen, so dass dieser Bereich hier am stärksten betroffen ist. In Wülfrath werden die Gebühren schon seit langer Zeit über eine zweijährigen Kalkulationszeitraum ermittelt, um so etwaigen notwendigen Schwankungen bei den einzelnen Gebührenarten eventuell vorbeugen zu können.
Die letzte Gebührenkalkulation erfolgte für die Jahre 2022/2023 und wurde erst im Dezember des letzten Jahres beschlossen. Auch in den Wülfrather Gebührenkalkulationen wurde die Abschreibung des Anlagekapitals auf Basis der Wiederbeschaffungszeitwerte und mit einer kalkulatorischen Verzinsung mit einem fünfzigjährigen Durchschnitt aus den Zinssätzen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer Emittenten kalkuliert.
Auf einen 0,5-prozentigen Zuschlag für höhere Fremdkapitalzinsen wurde in Wülfrath verzichtet. Im Ergebnis wurde für die Gebührenkalkulationen 2022/2023 mit einem kalkulatorischen Zinssatz von 5,242 Prozent gerechnet. Dieser Wert wurde von der Gemeindeprüfungsanstalt Nordrhein-Westfalen im Juni des letzten Jahres ermittelt und auf dieser Grundlage vom Rat der Stadt Wülfrath in seiner Sitzung vom 29.09.2021 beschlossen. Auf Basis dieses Zinssatzes wurden für die Abwassergebühren 2022/2023 in Wülfrath kalkulatorische Zinsen in Höhe von rund 540.000 Euro angesetzt. Eine stadtinterne überschlägige Berechnung des kalkulatorischen Zinssatzes auf Basis eines zehnjährigen Durchschnittes würde für 2022 zu einem kalkulatorischen Zins von 0,63 Prozent und für 2023 von 0,43 Prozent führen.
Noch keine Klärung
Daraus würde noch ein Ansatz von kalkulatorischen Zinsen von rd. 55.000 Euro für die beiden Jahre resultieren. Unklar bleibt derzeit noch, wie sich das Urteil auf bereits rechtmäßig beschlossene Gebührenkalkulationen und daraus folgender Satzungen als auch auf den einzelnen Gebührenzahler auswirken wird. Im Wesentlichen werden die betroffenen Benutzungsgebühren (mit Ausnahme der Friedhofs- und Rettungsdienstgebühren) mit den Grundabgabenbescheiden. Diese wurden für 2022 alle Ende Jan./Anfang Feb. dieses Jahrs versandt und sind zwischenzeitlich bestandkräftig. Jetzt eingehende Widersprüche müssten deshalb wegen Fristablauf zurückgewiesen werden. Gesichert dürfte allerdings sein, dass die für das Jahr 2023 vorliegenden Gebührenkalkulation an die geänderte und neue Rechtsprechung anzupassen ist.
Sobald der Stadt weitere gesicherte Informationen zu den konkreten rechtlichen Auswirkungen des Urteils auf vorliegende Gebührensachverhalte vorliegen, wird diese im Interesse der Bürgerinnen und Bürger der Stadt Wülfrath entscheiden.
So käme beispielsweise eine nachträgliche Korrektur der Gebührenkalkulationen 2022/2023 über die zu erstellenden Betriebsergebnisrechnungen in Betracht. Dies würde die umzulegende Kostenbasis für diese Jahre senken und zu einer Reduzierung zukünftiger Gebührensätze beitragen. Eine Klärung hierzu steht derzeit allerdings noch aus.
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