Düsseldorf. Vom PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs bis zur Blutgeltherapie: Selbstzahlerleistungen in der Arztpraxis sind für viele Menschen verwirrend. 25 Jahre gibt es die sogenannten IGeL bereits – und nicht selten schwingt Ärger mit, wenn es um das Thema geht.
Seit 25 Jahren gibt es die sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen, kurz „IGeL“ genannt. Und der Zustrom an Beschwerden ist ungebrochen. 2014 richtete die Verbraucherzentale NRW die Seite „IGeL-Ärger“ ein.
„Seitdem gehen jedes Jahr zahlreiche Fragen bei uns ein“, sagt Christiane Grote, Gruppenleiterin für Gesundheit und Pflege bei der Verbraucherzentrale NRW. „Von der korrekten Abrechnung bis zur Frage des Nutzens besteht weiterhin ein großer Beratungsbedarf.“
Wer gesetzlich versichert ist, hat Anspruch auf medizinische Leistungen zur Vorbeugung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten. Allerdings gilt: Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen nicht alles, was in der Medizin möglich ist. Stattdessen übernehmen sie die Kosten für das, was medizinisch notwendig ist.
Die Spanne zwischen beidem lassen Ärzte sich im Rahmen der individuellen Gesundheitsleistungen direkt von ihren Patienten bezahlen – zumindest sofern sie der IGeL-Maßnahmen zustimmen.
„Die IGeL gehören nicht zum festgeschriebenen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen“, erklärt Christiane Grote, Gesundheitsexpertin der Verbraucherzentrale NRW. Das könne verschiedene Gründe haben. Manche Leistungen gehörten per Gesetz nicht zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenkassen wie zum Beispiel Reiseimpfungen oder die Entfernung von Tätowierungen. Manche Leistungen seien nach Überprüfung als Kassenleistung abgelehnt worden, weil ihr Nutzen nicht belegt ist, weil sie medizinisch nicht notwendig oder weil sie nicht wirtschaftlich sind. „Die meisten IGeL sind schlicht noch nicht geprüft worden und deshalb keine Kassenleistung“, so Grote.
Damit es nicht zu bösen Überraschungen kommt, sind Ärztinnen und Ärzte gesetzlich verpflichtet, verständlich und umfassend aufzuklären – über Kosten, Alternativen und Risiken.
Schriftliche Aufklärung zwingend – eine zeitnahe Entscheidung nicht
„Das muss schriftlich erfolgen“, so Grote. Patientinnen und Patienten sollten darauf achten, dass sie schriftlich über Kosten einer IGeL informiert werden und dass sie bei Zustimmung einen schriftlichen Behandlungsvertrag und eine Rechnung erhalten. „IGeL sind nie eilig“, rät die Gesundheitsexpertin. Man müsse sich also nicht sofort in der Praxis entscheiden.
Ärztinnen und Ärzte dürfen ihre Patientinnen und Patienten nicht zu einer Entscheidung pro IGeL drängen. Und: Nein-Sagen ist erlaubt.
„Eine der häufigsten Beschwerden bei uns ist, dass Menschen sich nicht richtig über die Kosten aufgeklärt und zu einer Privatleistung gedrängt fühlten“, berichtet die Expertin der Verbraucherzentrale NRW.
Einige Untersuchungen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen bei begründetem Krankheitsverdacht oder in bestimmten Risikofällen – etwa den Ultraschall der Brust, die Glaukom-Früherkennung (Grüner Star) oder den PSA-Test.
„Vor allem aber sollten Betroffene bedenken, dass IGeL ohne wissenschaftliche Überprüfung angeboten werden dürfen“, erklärt Grote. „Sogar Leistungen, die bereits als negativ bewertet wurden, weil sie keinen Nutzen haben oder schaden können, sind als IGeL zulässig“.
Ein Blick auf die Bewertungen des sogenannten IGeL-Monitors der Krankenkassen kann helfen. Dort hatte man jüngst die aktuellen Ergebnisse auf einer repräsentativen Befragung unter knapp 6.000 Versicherten im Alter von 20 bis 69 Jahren veröffentlicht. Das Ergebnis: „Zu den Top-Sellern gehören IGeL, die nachweislich mehr schaden als nützen“.
Der IGeL-Monitor habe 55 Selbstzahler-Leistungen bewertet – 53 Leistungen mit „tendenziell negativ“, „negativ“ oder „unklar“, so der Medizinische Dienst Bund bei der Vorstellung.
„Nach unseren Erfahrungen wird besonders häufig die Augeninnendruckmessung zur Glaukom-Früherkennung durchgeführt“, so Christiane Grote, Gesundheitsexpertin der Verbraucherzentrale NRW. Aber auch Ultraschalluntersuchungen zur Früherkennung von Eierstockkrebs oder der PSA-Test zur Früherkennung von Prostata-Krebs würden häufig angeboten.
Für die Ärztinnen und Ärzte sind Selbstzahler-Leistungen ein großes Geschäft: Bei der Verbraucherzentrale NRW geht man von Ausgaben in Höhe von rund einer Milliarde Euro jährliche aus.
„In diesen Fällen werden Patientinnen und Patienten zu Kundinnen und Kunden und Ärztinnen und Ärzte zu Verkäuferinnen und Verläufern“, mahnt Grote. Dabei seien nicht alle angebotenen Leistungen schlecht. Eine Reiseimpfung im Vorfeld einer Fernreise könne beispielsweise sinnvoll sein, werde aber von der Krankenkasse nicht gezahlt.
„Was uns ärgert, ist das Standardargument in vielen Arztpraxen, dass die Krankenkassen etwas Neues, Gutes nicht bezahlen wollen“, so Grote. „Denn das stimmt einfach nicht“. Tatsächlich entscheiden Ärzteschaft und Krankenkassen gemeinsam in einem Gremium, welche Leistung Kassenleistung wird und welche nicht.
Die Ergebnisse laut IGeL-Monitor hierzu: Nur gut jeder Vierte (28 Prozent) weiß, dass es verbindliche Regeln beim Verkauf von IGeL in der Praxis gibt. Dazu gehört, dass Patientinnen und Patienten über den wahrscheinlichen Nutzen und mögliche Risiken oder Schäden durch die Leistung aufzuklären sind. Über den Nutzen wurden 78 Prozent informiert, über mögliche Schäden nur 56 Prozent. Fast jeder Fünfte (18 Prozent) gibt sogar an, dass seine Behandlung mit einer Kassenleistung vom Kauf einer IGeL abhängig gemacht wird.