Ein Rettungswagen ist in Ratingen unterwegs. Foto: Alexander Heinz
Ein Rettungswagen ist in Ratingen unterwegs. Foto: Alexander Heinz

Ratingen. Die Rettungswagen-Gebühren sind am Dienstag, 16. Dezember, ein Thema, mit dem sich der Rat der Stadt beschäftigen wird. Rund 200 Euro müssten Ratinger Bürgerinnen und Bürger für eine solche sogenannte Fehlfahrt bezahlen. 


Die aktuelle Debatte um die Rettungswagen-Gebühren ist durchaus kurios. Eine seit Jahrzehnten gängige Praxis wird nun in Frage gestellt – und könnte sich für Bürgerinnen und Bürger als Kostenfaktor erweisen und zudem einen wesentlichen und wichtigen Grundsatz zumindest gedanklich in Wanken bringen: Im Notfall ruft man den Rettungsdienst.

Kommunen und angehörige des Rettungswesens appellieren bereits, dass Betroffene oder deren Angehörige oder gar Dritte sich durch die Debatte nicht verunsichern lassen und im Ernstfall weiterhin die 112 wählen sollen. Ob im Nachhinein allerdings ein Gebührenbescheid ins Haus flattert, liegt vor allem am Wohlwollen der Krankenkassen. Die haben bislang die Kosten vollumfänglich auch bei sogenannten Fehlfahrten, also jenen Fahrten, in denen der Rettungswagen ausgerückt ist, den Patienten aber nicht in eine Klinik bringen musste, übernommen. Jüngst hatten die Kassen sich allerdings geweigert, diese jahrzehntelang unwidersprochene Praxis weiterzuführen. Es leiden – wie so oft bei derartigen Regelungslücken – die Bürgerinnen und Bürger vor Ort in den Kreisen und Städten.

In Ratingen wird sich am Dienstag der Stadtrat des Themas annehmen. 199,27 Euro könnte eine “Fehlfahrt” im Falle des Anrückens eines Rettungswagens dann kosten. Bei einem Krankentransport – etwas zu einer Dialyse – würden in gleichgelagerten Fällen 44,57 Euro veranschlagt, wie aus einer Beschlussvorlage der Ratinger Stadtverwaltung hervorgeht. Bei den womöglich veranschlagten Gebühren handelt es sich um jene Kostendifferenz, die Aus der satzungsmäßigen Gebührenhöhe und dem weiterhin übernommenen Festbetrag der Krankenkassen entsteht.

Laut Stadtverwaltung stellten die Krankenkassen eine “bisher seit Jahrzehnten in Ratingen und landesweit geübte und rechtlich anerkannte Praxis in Frage”. Dort äußert man Kritik vor allem an der Festsetzung der Festbeträge durch die Krankenkassen. Diese würden “jeglicher Kalkulationsgrundlage” entbehren.

Das Problem: Das Land NRW erklärt sich für nicht zuständig, die Krankenkassen weigern sich – und die Kommunen müssen ihr Rettungswesen haushaltsrechtlich auf wirtschaftlich solide Füße stellen. Bei der Stadt Ratingen sieht man für die Zukunft, dass Richter entscheiden müssen, um die Grundsätze in der Sache ablösen zu können. Bis neue Regelungen gefunden sind, soll gelten: “Sollte – wie von den Kostenträgern der GKV angekündigt – die Zahlung des Differenzbetrags verweigert werden, wird diese Restforderung in einen gebührenrechtlichen Bescheid gegenüber den Leistungsempfängern der GKV, geltend gemacht, die gemäß Satzung Gebührenschuldner/in sind.”

Die Versicherten könnten dann zumindest den Gebührenbescheid bei ihren Kassen einreichen – mit im Einzelfall jedoch ungewissem Ausgang.

Bei der Stadt Ratingen erwartet man jedenfalls einen erhöhten Arbeitsaufwand: “Es ist absehbar, dass die Erhebung von Differenzbeträgen gegenüber den Versicherten zu einem deutlich erhöhten Aufkommen an Rückfragen, Widersprüchen und Einzelfallprüfungen führen wird”, hieß es. Die Verwaltung vermutet, dass Bürgerinnen und Bürger ihren Unmut direkt gegenüber der Stadt kommunizieren werden, da die möglichen Gebührenbescheide von dort versandt werden. Weil der Streit zwischen Kommunen und Krankenkassen absehbar kaum beigelegt werden wird, werden Städte und Kreise die Differenzkosten zwischenzeitlich umlegen müssen.

Dass die Situation für die Kommunen eine Herausforderung darstellt und es zudem als echten Problemlösungsmöglichkeiten mangelt, deutet ein Antrag der Ratinger SPD an. Die Fraktion weist für die Ratssitzung auf das neue Szenario in der Stadt hin, beantragt, beispielsweise über soziale Härtefälle zu beraten – oder über “medizinisch vertretbarere Notrufe” – in solchen Fällen möge die Verwaltung von “gebühren- und haushaltsrechtlich bestehenden Spielräumen Gebrauch machen”. Die Forderung ist letztlich vage, setzt allerdings zielsicher bei den Ängsten der Menschen an: Was passiert, wenn man sich den Rettungswagen finanziell nicht leisten kann?

Besonders unbequem wird die Situation in Ratingen durch die jüngsten Veränderungen bei der lokalen Gesundheitsversorgung durch die Schließung der Notfallpraxis am ehemaligen Klinikum. Eine Befürchtung, die Ratingerinnen und Ratingern in den sozialen Medien geäußert haben: ausgerechnet eine verstärkte Inanspruchnahme des Rettungsdienstes.

“Die Bürgerinnen und Bürger erleben seither eine deutliche Verunsicherung, was die gesundheitliche Daseinsvorsorge vor Ort betrifft”, so die Ratinger SPD. “Vor diesem Hintergrund ist es von zentraler Bedeutung, dass medizinisch vertretbare Notrufe nicht zu einem wirtschaftlichen Risiko für die Bürgerinnen und Bürger werden, sondern dass nach wie vor dann auch professionelle Hilfe gerufen wird”. Das Vorgehen berge die Gefahr, dass wer das erste Mal eine Rechnung für einen Rettungseinsatz bekommt, sich es beim nächsten Notfall zweimal überlegt, ob er den Notruf wählt.

In Ratingen wird sich daher – wie bereits in anderen Kommunen – eine Lösung für jene finden müssen, die die Kosten nicht selbst tragen können.

Besonders kurios ist, dass ausgerechnet eine Verbesserung in der Rettungspraxis die Debatte befeuert: “Mit der Schaffung des für die Notfallrettung wesentlichen, nicht-ärztlichen Berufsbildes Notfallsanitäter im Jahr 2014 veränderte sich die Wahrnehmung der Aufgabenpraxis schnell und erheblich. Wo der bis zu diesem Zeitpunkt noch führend eingesetzte Rettungsassistent überwiegend für die eigentliche Kernaufgabe, nämlich die akute Gefahr für Leib und Leben abzuwenden und den Patienten ins Krankenhaus zu transportieren, ausgebildet war änderte sich die Aufgabenwahrnehmung”, erklärt Christian Drewa. Der Ratinger ist ausgebildeter Notfallsanitäter und arbeitet als Perfusionist im Klinikbereich. “Die Befugnis teilweise heilkundlich zu arbeiten, also ärztliche Maßnahmen auszuüben und beispielsweise Medikamente zu verabreichen, wurde mit einer komplexeren und kostenintensiveren Ausbildung verknüpft. Die Entwicklung der vergangenen Jahre führte also dazu, dass viele Patienten nach der Behandlung durch den Rettungsdienst die Mitfahrt in das Krankenhaus verweigerten da es ihnen erheblich besser ging”, so Drewa. Genau das sei ein “typisches Szenario” für die diskutierte Fehlfahrt.

Was letztlich an vielen Stellen gefordert wird, ist eine Reform des Rettungswesens. Die dürfte aber noch länger auf sich warten lassen als erhoffte kurzfristige Lösungen. “Es ist an der Zeit die Debatte neu aufleben zu lassen und auch auf Bundesebene eine ausnahmsweise schnelle Umsetzung zu verlangen, denn dieser Zustand ist nicht lange tragbar und demokratiegefährdend”, fordert Drewa.