
Velbert. In der Innenstadt haben Velberter Bürgerinnen und Bürger sich gegen die Botschaften des Bündnisses „NRW erwacht!“ gestellt. Am Samstag kam es daher zu zwei Protestmärschen.
Im Innenausschuss des Landtags war das Bündnis „NRW erwacht!“ bereits im Frühsommer des vergangenen Jahres Thema, als dort der Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2022 vorgestellt worden ist. Die Behörde hat längst nicht mehr nur rechtsextremistische Gruppieren ins Visier genommen, sondern beispielsweise auch die Szene der sogenannten Delegitimierer oder der Corona-Leugner. Die Verfassungsschützer beobachten hierzu Geschehnisse im Internet, so etwa in Chatgruppen, aber auch vor Ort.
Während sich im weltweiten Netz lokale Schwerpunkte nur schwer ausmachen ließen, so Verfassungsschutz-Chef Jürgen Kayser, sehe man auf der Straße Versammlungen mit Schwerpunkten im Raum Düsseldorf, Ruhrgebiet und zum Teil auch ein
bisschen im Bergischen Land, wo sich „immer wieder Gruppen fänden, die den Begriff
„Freie“ mit einem Ortsnamen kombinierten oder den Begriff „Erwachen“ im Namen trügen“. Kayser nannte Beispiel: „Bergisches Erwachen“ oder eben „NRW erwacht“. Letztere hatten zu einem Protestzug in Velbert aufgerufen. Rund 200 Demonstranten kamen. Und sie waren vor allem laut. Einige der Botschaften auf den Schildern: „Die Ampel muss weg“, „Corona aufarbeiten“, „WHO stoppen“. Hinzu kamen Botschaften vom Band in Dauerschleife: Unter anderem über Verfehlungen der Regierung; über eine Grünen-Partei, die sich eine eigene Polizeitruppe aufbaue, über gekaufte und beeinflusste Medien oder Finanzkontrolle.
Zu hören waren all jene Schlagworte, die für Verunsicherung in der Bevölkerung sorgen sollen: Von fehlender Selbstbestimmung ist die Rede, von Widerstand oder davon, dass man die Kinder beschützen müsste. Sogar einen sich anbahnenden Dritten Weltkrieg bringt das Bündnis ins Spiel, das Unterstützung aus der Landeshauptstadt von den „Freien Düsseldorfern“ erhalten hatte. Oder von den Corona-Rebellen Bergisch Land. Letztere haben ebenfalls einen Düsseldorfer Ableger, der – zusammen mit etwa 20 regionalen Gruppen der Querdenken-Bewegung – bereits vor rund drei Jahren in das Blickfeld des NRW-Verfassungsschutzes geraten war. Damals hieß es seitens des Innenministeriums, es lägen „hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der demokratiefeindlichen und sicherheitsgefährdenden Delegitimierung des Staates“ vor.
Was vor allem auffällt: „NRW erwacht!“ und seine Demonstranten sendeten in der Velberter Innenstadt Botschaften unter dem Deckmantel von Freiheit und Frieden, setzten jedoch konsequent auf eine Faktenumkehr und auf Verallgemeinerungen. Die Bauern würde man aufgrund ihrer Proteste in Deutschland als Rechtsextreme abstempeln, ebenso „die Unternehmer“. „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ – so schallt es zudem aus den Lautsprechern. Der Steuerzahler müsste dafür blechen. Das alles sei jedoch „kein Rechtsextremismus“, will die Bandansage vermittelt. Es handele sich um Mathematik. Gleichzeitig fallen die Schlagworte der rechten Sprache, wenn es um Kinderschänder, Frauenvergewaltiger, wachsende Kriminalität durch Migranten geht.
Eine eindeutige Zuordnung der Demonstrierenden ist letztlich schwierig: Einige, die mitliefen, gaben an, sie seien „nicht rechts“, hätten „damit nichts zu tun“. Ihr Protest gilt der Coronapolitik, der Ampel oder vor allem den Grünen.
In der Innenstadt hatte sich zugleich ein Gegenprotest organisiert. Die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Niederberg“ (VVN – BdA) und die Velberter MLPD luden zu einer Kundgebung ein. Rund 60 Menschen folgten ihr. Rainer Köster mahnte in seiner Rede vor allem vor der Gefahr durch Rechtsextremismus: „Demokratisch gefasste rechtsstaatliche Entscheidungen gelten für sie einfach nicht. Fadenscheinige Erklärungen wie ‚Ich bin doch kein Nazi‘ sollen den Anschein biederer Gutbürgerlichkeit erwecken.“ Aufgrund ihres Tuns und ihre Taten seien sie „weder gutbürgerlich, noch harmlos“. Sie entwickelten den gleichen Ungeist wie vor 90 Jahren und bedrohen die Freiheit. „Und deshalb müssen sie gestoppt werden – bevor es wieder zu spät ist“, so Köster.
Ein Velberter Demonstrations-Urgestein ist Ilona Silipo, die mit ihrer „kleinsten kunterbunten Friedensgruppe“ seit 2016 in Velbert immer wieder Zeichen setzt. Silipo zeigte sich diesmal zerknirscht. Der Grund: „Es sind viel zu wenige Bürgerinnen und Bürger zur Demo gekommen“. Velbert sei nicht nur an den Karnevalstagen bunt, meint Silipo. Sie appelliert: „Liebe Velberter, traut euch!“
Die beiden Protestzüge hatte die Polizei getrennt und eigene Wege laufen lassen. Die Behörde zeigte Präsenz in der Velberter Innenstadt, stellte sich aus Gründen der Prävention mit örtlichen Einheiten und der Bereitschaftspolizei auf.