Forstamtsleiter und Förster Peter Tunecke sorgt sich um die Gesundheit der Wälder - vor allem Schädlinge und das Klima setzen den Bäumen zu. Foto: Volkmann
Forstamtsleiter und Förster Peter Tunecke sorgt sich um die Gesundheit der Wälder - vor allem Schädlinge und das Klima setzen den Bäumen zu. Foto: Volkmann

Velbert. Die Baumfällungen in Neviges kommen bei Anwohnenden gar nicht gut an: rund 30 Bäume habe „die Stadt vernichtet“, so deren Kritik. Forstamtsleiter Peter Tunecke erklärt im Gespräch, weshalb die Fällungen nicht nur notwendig, sondern sogar wichtig für die Gesundheit des Waldes sind. 

Das Rattern der Motorsägen war weithin zu hören am Samstagnachmittag. Waldarbeiter hatten begonnen, die trockenen Fichten zu fällen. Zuvor sind sie vor allem den Buchen im Bereich der Hohenbruchstraße zu Leibe gerückt. Hoch türmen sich im Siepen die Stammabschnitte. Die Waldstücke in Neviges werden von Wandernden und Spaziergängern genutzt, dienen als Naturkulisse für die Gassirunde und den Nevigesern als Naherholungsgebiete. Die Veränderungen des Erscheinungsbildes des Waldes sind offensichtlich: bei Anwohnerinnen und Anwohnern kommen derartige Maßnahmen selten gut an – auch diesmal nicht.

Stammteil der gefällten Bäume stapeln sich am Wegesrand - das Holz darf man genauso wenig mitnehmen wie das Totholz, das im Wald liegen gelassen wird. Foto: Volkmann
Stammteile der gefällten Bäume stapeln sich am Wegesrand – das Holz darf man genauso wenig mitnehmen wie das Totholz, das im Wald liegen gelassen wird. Foto: Volkmann

Forstamtsleiter und Förster Peter Tunecke kann davon ein Lied singen: „Wenn wir fällen, wird immer kritisiert“. Wie viele Bäume den Kettensägen genau zum Opfer fielen, wusste Tunecke nicht. Das Alter der Bäume kannte er aber genau: etwa 170 Jahre alt waren die Buchen – und ihre Zeit war damit gekommen. Wie Peter Tunecke erklärt, waren die Bäume sogar teilweise einige Jahrzehnte über ihrem Hiebsalter. Das beginnt bei den Buchen ab etwa 120 Jahren. Um bloß Geld zu verdienen, habe man die Bäume keinesfalls gefällt, stellt der Förster klar. Viel mehr ist es der große Stress, dem die grünen Lebewesen inzwischen über mehrere Jahre ausgesetzt sind, welcher die Standsicherheit gefährde und nun zu den notwendigen Fällungen führe.

Hitze, Stürme, Schädlinge – wenig Regen

Negative Einflüsse gibt es viele, wie Peter Tunecke erklärt: Die Dürrejahre hielten seit 2018 an. 2018, 2019 und 2020 seien „Extremhitzejahre“ gewesen, 2021 hingegen etwas feuchter, bevor der Sommer 2022 den Pflanzen mit „der längsten Sonnenscheindauer“ so richtig zusetzte. Milde Winter gab es zwar, allerdings deutlich zu wenig Niederschlag. „Wir sind nur bei der Hälfte oder noch weit drunter“, so Tunecke zur Regenmenge unter Bezug auf den Durchschnitt. Hinzu komme eine „Niederschlagsumverteilung“. In der Ruhezeit falle mehr Regen, in der Vegetationszeit, „wenn die Pflanzen das brauchen“, herrscht wird der Mangel besonders deutlich. Bei Grundwasserbohrungen habe man bis zu zwei Meter tief gegraben und „nur Staub“ gefunden, erklärt der Förster. „Sie finden auch keinen aktiven Regenwurm mehr im Boden“, mahnt Tunecke. Die Grundwasserspeicher seien auch nach dem „schönen, sachten Landregen“ nicht gefüllt. Starkregen helfe ohnehin nicht, weil das Wasser dann einfach abfließe. Sogar im Unterhang ist es zu wenig feucht.

Durch die Mangelzustände funktionieren die Symbiosen des Waldes nicht und die Bäume schaffen es, das für sich lebenswichtige Wasser sowie Nährstoffe aus dem Boden zu ziehen. Als wäre das nicht schon genug, kommen Pflanzenkrankheiten hinzu: „Wir haben hier eine Komplexkrankheit“, erklärt Peter Tunecke. Das führe zu einem besonders dynamischen Holz-Zerfall, wodurch jene Zeitspannen kürzer werden, in denen man sich für oder gegen das Fällen eines Baumes aufgrund seiner gefährdeten Standsicherheit entscheiden muss.

An einem Baum leben rund 600 Insektenarten, auch deren Lebensräume gilt es zu erhalten. Allerdings kann auch das zu einem Problem werden, Tunecke nennt als Beispiel des Eichenprozessionsspinner. Eichen an der Bebauung zu pflanzen, sei daher kontraproduktiv.

Immer wieder kommt es zudem zu stärkeren Stürmen, die dann vor allem weniger kräftige Bäume niedermähen. 1990 war es „Wiebke“, neun Jahre später „Lothar“, 2007 veränderte Kyrill die Waldlandschaften. Es folgten Friederike, Sabine und im vergangenen Jahr Zeynep.

Rund 109 Kilometer Waldrandlänge sind im Velberter Stadtgebiet zu gestalten und für die Technischen Betriebe ist das ein Dauereinsatz. „Wir haben eine Verkehrssicherungspflicht an den Rändern“, so Forstamtsleiter Tunecke. Es habe häufig Astausbrüche in Gärten gegeben, also müsse man die Bäume wegnehmen bevor genau das passiert. Inmitten des Waldes sehe das anders aus. Es gilt: Betreten auf eigene Gefahr. Herabstürzende Äste gehören zum allgemeinen Lebensrisiko.

Darwin ganz nah

An den Waldrändern, beispielsweise im Bereich von Wegen, Straßen, Stromleitungen oder Wohngebieten sieht das anders aus. Dort sei die „Pflicht besonders hoch“ , so Tunecke. „Ich will nicht, dass ein Baum in den Vorgarten kracht.“ So mancher Stamm samt Astwerk wiegt 15 Tonnen, dahinter steckt eine enorm Wucht. „Das will keiner“, so der Förster. Und er weiß auch: „Machen wir die Bäume ab, will auch das keiner“. Es ist das Dilemma mit dem Peter Tunecke konfrontiert wird. Und manchmal darf die Stadt auch gar nicht fällen, obwohl es auch Sicherheitsgründen notwendig ist: Waldgrundstücke in Privathand sind tabu. Dort seien die Eigentümer verantwortlich, mahnt Tunecke.

Ob nachgepflanzt wird im Siepen? „Wir setzen erstmal auf Naturverjüngung“, erklärt der Forstamtsleiter und zeigt im Siepen auf viele kleine Buchen, die sich bereits dem Licht entgegenrecken. Und weil die jungen Bäume Sonne besonders dringend benötigen, sind die Baumfällungen sogar wichtig, damit die Pflanzen überhaupt „in den Lichtgenuss kommen“, so Tunecke. Ist ausreichend Sonnenlicht vorhanden, machen die Bäume „schnell einen Satz“.

Neue Forschungserkenntnisse deuten laut Peter Tunecke zudem daraufhin, dass Jungbäume sich genetisch anpassen könnten, sofern sie die extreme Trockenheit überleben. Die Darwin’sche Evolutionsregel „survival of the fittest“ wird somit in Neviges womöglich vor der eigenen Haustür sichtbar. Sorgen bereitet dem Forstamtsleiter allerdings die Klimalage: „Wir können nicht von der Konstanz des Klimas jetzt ausgehen“, so Tunecke. Es gehe steil nach oben. Einfach Pflanzen aus Südeuropa nehmen könne man nicht, weil hierzulande dann der Frost zu einem Problem werde. Die klimatischen Veränderungen führten langfristig zudem zu einer anderen Zusammensetzung der Waldgebiete: der Buchenanteil werde weniger groß, dafür werde es mehr Eichen geben, „die Winterlinde packt es auch gut“, ebenso die Roteiche.

Von außen wirken Bäume für den Laien gesund, im Inneren zeigt sich dann jedoch, wie sehr ein Baum sich gegen schädliche Einflüsse wehrt (schwarze Linien). Foto: Volkmann
Von außen wirken Bäume für den Laien gesund, im Inneren zeigt sich dann jedoch, wie sehr ein Baum sich gegen schädliche Einflüsse wehrt (schwarze Linien). Foto: Volkmann

Dennoch dauert es viele Jahre, bis die Bäumchen zu kräftigen Stämmen herangewachsen sind. Tunecke denkt in „forstwirtschaftlichen Zeiträumen“, es geht um Jahrzehnte. Eines sei allerdings trotz lichterer Waldgebiete sicher: „Das Waldklima wird man im Sommer auch hier definitiv spüren“, freut sich Tunecke. Die Naturbereiche bieten somit an heißen Tagen weiterhin Schutz und Abkühlung.

Klar wird schnell: Um erkennen zu können, weshalb Bäume an bestimmten Orten gefällt werden, bedarf es eines fachmännischen Blickes. Holzzersetzende Schädlinge, Pilzkrankheiten, durch Austrocknung abplatzende Rinde, Zwiesel (eine Aufgabelung eines dominanten Pflanzentriebs) oder „Elefantenohren (eine Ausbuchtung)“ an den Bäumen – es gibt vieles, das der Gesundheit eines Baumes schaden kann. Nicht alles davon ist für den Laien allerdings auch offensichtlich zu erkennen. Es lohne sich, „im Wald auch mal nach oben zu gucken“, so Tunecke. Wälder würden oft für den Trendsport genutzt, richtig aufmerksam würden aber nur wenige durch die Natur gehen, kritisiert der Förster.

„Gesunder Wald braucht Pflege“, bricht Velberts Forstamtsleiter Peter Tunecke die Maßnahmen auf einen Satz herunter. Er setze sich für den Naturschutz ein – mit der Kritik bei jeder Baumfällung umgehen zu müssen, gehöre letztendlich ebenso zu „seiner Berufung“.