Rund 3.100 Besucher kamen in 2024 zu den Ratinger Spieletagen - dieses Jahr wird die Bilanz ähnlich ausfallen. Foto: André Volkmann
Rund 3.100 Besucher kamen in 2024 zu den Ratinger Spieletagen - dieses Jahr wird die Bilanz ähnlich ausfallen. Foto: André Volkmann

Ratingen. Einmal im Jahr wird Ratingen während der „Spieletage“ für ein Wochenende zu einem Zentrum für Liebhaber von Gesellschaftsspielen. Am 12. und 13. April pilgerten hunderte Bürgerinnen und Bürger sowie Stadtgäste in die Dumeklemmerhalle, um Neuheiten oder noch in der Entwicklung befindliche Spielkonzepte auszuprobieren. 


Wer regelmäßig Brettspiele spielt, kennt sicherlich die großen Messen in Essen, Nürnberg oder Dortmund. Wer sich eingehender mit der Szene beschäftigt, kennt sehr wahrscheinlich auch die Ratinger Spieletage, die dieses Jahr zum inzwischen 15. Mal stattgefunden haben. Der Einzugskreis für die Veranstaltung ist groß – Besucherinnen und Besucher kommen auch aus Ratingen, aber nicht nur. Weit über den Kreis Mettmann hinaus wirkt die Strahlkraft der „Spieletage“, lockt Gelegenheitsspieler wie Einsteiger an.

„Vor allem für unsere Ratinger Familien ist die Messe ein Highlight“, freut sich Andrea Laumen von der Evangelischen Kirchengemeinde. Die Sozialpädagogin organisiert gemeinsam mit Thomas Fedder jenes Event, das aus dem Kalender der Stadt kaum mehr wegzudenken ist. Organisiert wird die zweitägige Veranstaltung von der VHS Ratingen, dem Amt für Kinder, Jugend und Familie sowie der Evangelischen Kirchengemeinde Ratingen.

Die Idee ist simpel: Verlage und Autoren präsentieren ihre Spiele und Ideen, ein Flohmarkt und Spielangebote für Kinder und Jugendliche sorgen für den Rahmen. Das kommt gut an. Rund 3.100 Menschen pilgerten im vergangenen Jahr nach Ratingen, dieses Jahr dürfte die Zahl ähnlich ausfallen. Über 1.100 Besucher zählten die Organisatoren am Samstag, weitere 800 waren es bereits am Sonntag zur frühen Mittagszeit. Zählen ist im Falle der Ratinger Spieletage wörtlich zu nehmen: Aufgrund der Brandschutzbestimmungen dürfen lediglich 900 Menschen gleichzeitig in die Stadthalle – inklusive aller Aussteller und Helfer. Die Feuerwehr spielt also mit, kennt zumindest bezüglich der Sicherheit keinen Spaß.

Spielemesse mit Charity-Kern

Andrea Laumen organisiert die Spieletage federführend mit. Foto: Volkmann
Andrea Laumen organisiert die Spieletage federführend mit. Foto: Volkmann

Für die Veranstalter bedeutet das reichlich Arbeit. Und Plänen können mitunter auch kurzfristig durcheinander gewürfelt werden. So sei es dieses Jahr gewesen, erklärt Andrea Laumen. Die Feuerwehr sorgte für eine Besuchergrenze, die es vorher so nicht gab. Das Duo Laumen und Fedder hatten darauf reagieren müssen – und sie taten es. Letztlich wurde am Eingang auf den Besucher genau gezählt. Für jene, die durch die Säle streifen, ist das nur gut: Statt Gedränge gab es reichlich Platz – auch an den Spieltischen. Über 60 Aussteller – davon 43 Verlage und 17 Spieleautoren – waren in Ratingen dabei, um ihre Neuheiten und Ideen zu präsentieren. Angesprochen haben die „Spielemacher“ dabei sowohl Einsteiger als auch Kenner oder Experten.

Stöbern konnten Besucher direkt an den Ständen der Verlage oder auf dem sogenannten Bring-and-buy-Flohmarkt, für den die Ratinger Spieletage über die Stadtgrenzen hinaus bekannt sind. Spieler geben ihre ausgedienten Titel in den Verkauf, zahlen dafür eine schmale Gebühr, deren Summe letztlich einem guten Zweck zukommt. Der Charity-Gedanke trägt die gesamte Veranstaltung. Der Erlös wird gespendet, die Arbeit tragen Ehrenamtliche. Bevor der erste Würfel rollen oder die erste Spielfigur aufs Brett gesetzt werden kann, muss Ratingen sein Engagement hochfahren. Die Stadt stellt hierzu kostenfrei die Dumeklemmerhalle zur Verfügung, freut sich Andrea Laumen. Die Jugendlichen aus der Jugendarbeit sind besonders aktiv, kümmern sich beim Einlass oder hinter den Kulissen. Ob der Nachwuchs einen besonderen Anstoß brauche? „Gar nicht!“, so Andrea Laumen. „Bei den Spieletagen sind alle sofort dabei“. Ihre „Engel im Einsatz“ nennt Laumen die fleißigen Herlferinnen und Helfer und stellt klar: „Ohne das Ehrenamt gäbe es die Spieletage gar nicht. Das ist schon besonders“. Zwei Tage lang jeweils zehn Stunden stünden die Engagierten bereit – und danach werde noch abgebaut.

Autoren bringen neue Ideen mit nach Ratingen

Lars Michael Stock möchte Spiel und Lerneffekt verbinden - ihm geht es um ein Verständnis für Demokratie. Foto: Volkmann
Lars Michael Stock möchte Spiel und Lerneffekt verbinden – ihm geht es um ein Verständnis für Demokratie. Foto: Volkmann

Ebenfalls eine Besonderheit ist der Prototypen-Bereich, in dem Autoren jene Ideen, die zwar bereits Spiele, nicht aber fertige Handelsprodukte sind, dem breiten Publikum vorstellen. Hier schreibt auch Ratingen mitunter seine Erfolgsgeschichten. Der Auto Martin Schlegel hatte im vergangenen Jahr ein Konzept für das Familienspiel „Elch-Dorado“ mit in die Dumeklemmerstadt gebracht – dieses Jahr feierte das Spiel als fertiges Werk vom Spieleschwan Verlag auf der Messe ein Wiedersehen. Den Kontakt hatten Autor und Verlagsvertreter auf den Spieletage hergestellt.

Derartige Abläufe sind ohnehin, wofür die Brettspielbranche steht: Plötzliche Veränderungen. Das betrifft nicht nur die regelmäßig wechselnden Trends, sondern auch die Entwicklung an sich. „Es gab da einen Prototypen, bei dem Lebensmittel im Mittelpunkt standen“, so Laumen. „Und im fertigen Spiel ging es dann um den Weltraum“. Nicht selten ist es so, dass die Autoren eine Spielmechanik erdenken, damit zu Verlage gehen, die daraufhin in eigenen Spieleredaktionen dem Grundwerk ein Thema überstülpen. Das funktioniert oft gut, ist in der Szene mitunter jedoch auch ein Anlass für Kritik. Am Ende ist es einfach, weiß Andrea Laumen: „Ein Brettspiel muss Spaß machen“. Als Sozialpädagogin freue sie sich allerdings auch darüber, dass Brett- oder Kartenspiele lehrreiche Effekte haben. „Seit Corona gibt es einen großen Ruck. Vielen Menschen mögen heute Brettspiele, setzen sich mit Angehörigen oder Freunden an einen Tisch und verbringen Zeit. Ganz ohne Handy“, so Laumen. Die Organisatorin ruft dazu auf, noch mehr zu spielen. „Jede Familie sollte zusammen spielen, weil das so unendlich wichtig ist“.

Der Autor Lars Michael Stock aus Hemer im Sauerland sieht es ähnlich. Mit seinem Verlag „AdveRunde“ hat er den Prototyp zu dem Kartenspiel „Dindex“ in die Dumeklemmerstadt gebracht. Hinter dem kryptischen Titel verbirgt sich ein Werk, mit dem Stock das politische Konzept der Demokratie spielerisch vermitteln möchte. Seine Simulation in Kartenspielform greift Kernelemente auf, mit denen Machtverhältnisse verschoben werden können: Verhandlungen, Kompromisse, aber auch Extremismus und faule Tricks. Die Demokraten treten in seinem Spiel gegen Oligarchen an – die Rollen werden zufällig verteilt und sind geheim, dann wird gespielt. „Jeder darf behaupten, er sei Demokrat, keiner darf allerdings sagen, er wäre der Oligarch,“, erklärt Lars Stock. Kurzum: Der Oligarch gewinnt durch Manipulation des Systems, allerdings wollen auch alle Demokraten gewinnen, um letztlich ins Kanzleramt zu gelangen. „Am Tisch geht es dann manchmal ganz schön heiß her“, freut sich der Autor, der das Spiel im Herbst als fertiges Produkt in einer Auflage von 3.000 Exemplaren anbieten möchte. Je antidemokratischer gespielt werde, desto härtere Aktionskarten können gespielt werden. Läuft es gut für die Oligarchen, so driftet das System in den Populismus und dann den Extremismus ab, bricht irgendwann zusammen. Die Demokraten wollen dem entgegenwirken, hegen zugleich jedoch eigene Machtansprüche, benötigen Wähler und wollen beispielsweise Ministerien besetzen, um Punkte zu sammeln. Das alles ist ein Spiel, heute klingt es jedoch nah an der politischen Realität.

Dass Stock mit seinem Spiel den Nerv der Zeit trifft, ist eher Zufall. „An dem Spiel tüfteln wir seit fünfeinhalb Jahren“. Die Idee sei gekommen durch die politische Ausrichtung, für die Viktor Orbán steht. Und heute? „Das Spiel ist aktueller denn je“, so Stock. „Die Grenzverschiebungen, die hier simuliert werden, geschehen derzeit in den USA. Und je mehr die Grenzen verschoben werden, desto mehr kann die Regierung sich erlauben“. Das sei schon beängstigend, dass es so aktuell ist, meint Lars Stock. Die Beeinflussung von außen, etwa durch Soziale Medien, solle man sich daher bewusstmachen. Vor allem Jugendliche könnten mit dem Kartenspiel lernen, wie Populismus funktioniere und welche Konsequenzen er haben könne, erklärt Lars Stock. „Das Spiel kommt mit der moralischen Keule nicht vorne weg, sondern hinten weg. Jugendliche müssen nicht politisch interessiert sein, um Spaß mit dem Spiel zu haben. Jeder kann erstmal mitmachen und hinterher merkt man: Hey, wir werden ja populistisch beeinflusst.“

Per Crowdfunding auf der Plattform „Startnext“ wird die Idee finanziert – der angepeilte Mindestbetrag ist erreicht, das Spiel solle damit auch sicher produziert werden.

An den Tischen im großen Saal ist reichlich Platz für Spiel und Spaß. Foto: Volkmann
An den Tischen im großen Saal ist reichlich Platz für Spiel und Spaß. Foto: Volkmann

Der Erfolg der Spieletage ist kein Zufall, sondern das Ergebnis großen ehrenamtlichen Engagements. Die familienfreundliche Messe in Ratingen ähnelt zumindest in Ansätzen der „SPIEL“ in Essen, der Weltleitmesse für Gesellschaftsspiele, die im vergangenen Herbst rund 200.000 Menschen aus aller Welt in die Ruhrmetropole lockte. Beide Events feierten ihre Geburtsstunden als kleine Treffs. Bei der Essener Messe war es eine Veranstaltung an der Volkshochschule, die immer größer wurde. Bei den Spieletagen sei es 1994 eine Spielausstellung in der Gemeinde gewesen, die so gut angekommen sei, dass Spielen in Ratingen zu einem Dauerthema wurde, wie Andrea Laumen resümiert. „Später kam dann Thomas Fedder dazu – und ab dann ging es richtig los“.

Und im kommenden Jahr? „Da wird es die Spieletage wieder geben. Das Banner mit dem Termin haben wir ja bereits hängen“, freut sich Laumen. Das Wochenende am 28. und 29. März 2026 steht dann in Ratingen wieder ganz im Zeichen der Gesellschaftsspiele.