Velbert. Die im Zuge der Convivo-Pleite kommunizierte Schließung des Seniorenzentrums Velbert am Wordenbecker Weg zieht viele Reaktionen nach sich und sorgt angesichts des Umzugs bei Betroffenen und Angehörigen für Verunsicherung. Der Kreis Mettmann hält eine Liste mit freien Plätzen vor, um kurzfristig zu helfen. Langfristig könnte es die Branche heftig treffen, wie Verbände orakeln.
In zwei Wochen – am 15. Juni – ist das Seniorenzentrums am Wordenbecker Weg nicht mehr das Zuhause für knapp über 100 Bewohnerinnen und Bewohner. Die Insolvenz der Convivo-Unternehmensgruppe sorgt bundesweit für Schlagzeilen. Ein Unterton, der bei vielen Reaktionen in den sozialen Medien und aus der örtlichen Politik immer wieder mitschwingt: Mit dem Älterwerden und insbesondere der Pflege dürfe man keine Geschäfte machen.
Der Blick geht daher nicht ausschließlich in die jüngere Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft. Denn: Bei der Pflege liegt einiges im Argen. Die Reform der Pflegeversicherung inklusive der der Erhöhung der Leistungen für die stationäre und ambulante Pflege sieht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach als „notwendige Reaktion auf die steigenden Kosten in der stationären Pflege“. Ein Leistungsplus und eine Erleichterung bei der Unterstützung vor allem pflegender Angehöriger solle vor Überlastung schützen.
Und auch die Zuschüsse für die Pflegekosten in den Heimen sind Bestandteil der Gesetzesreform. Im Gegenzug steigen die Beitragssätze, um Mehreinnahmen von rund 6,6 Milliarden Euro jährlich zu generieren.
All die angedachten Verbesserungen helfen den Bewohnern in Velbert zumindest kurzfristig nicht mehr. Und sie helfen auch dann nicht, wenn das Modell Pflege zu einem Geschäftsmodell verkommt. Den größten Zorn ziehen bei der Debatte nämlich privatwirtschaftliche Organisation der Pflege auf sich. Zu lesen sind dann Kommentare wie „Ich könnte echt die Wand raufgehen… ein alter Mensch hat doch keine Lobby mehr“ oder „Abgeschoben, dahin wo gerade noch Platz ist! Das sind die Menschen, die für uns geschuftet haben!“.
Den mangelnden Schutz von Seniorinnen und Senioren in einer aktiven Pflegesituation mahnt auch Velberts Bürgermeister Dirk Lukrafka mit deutlichen Worten an: „Hier wurde Geld auf dem Rücken der Seniorinnen und Senioren und der Beschäftigten verdient. Eine Situation, die auch andernorts zu beobachten ist“, so Lukrafka in einer Stellungnahme. „Zudem deutet vieles darauf hin, dass Heimbewohnerinnen und Heimbewohner in der Insolvenz weniger geschützt seien als Mieterinnen und Mieter.“
Wie drängend ein Umdenken vor diesem Hintergrund womöglich ist, wird aus einem Hinweis der Velberter SPD deutlich: Demnach befänden sich noch rund fünf Prozent der Alten- und Pflegeheime in kommunaler Trägerschaft.
Der Bundesverband der privaten Pflegeeinrichtungen warnte jüngst vor einer „Pleitewelle“. Gegenüber des Redaktionsnetzwerks Deutschland äußerte sich Verbandspräsident Bernd Meurer mahnend: „Die Pflegeeinrichtungen jagen sich nur noch gegenseitig das Personal ab.“ Der spürbare Fachkräftemangel sorgt für Probleme – in der Folge bleiben Heimplätze sogar unbesetzt. Das mindert die Einnahmen für die Einrichtungen und kann sie schlimmstenfalls in finanzielle Bedrängnis bringen.
Laut einer Umfrage – sie liegt der „Bild am Sonntag“ vor – des Arbeitgeberverbands sorgen die steigenden Kosten und die Personalnot dafür, dass 77 Prozent der Antwortenden in den vergangenen drei Monaten „signifikante negative Veränderungen“ ihres Betriebsergebnisses festgestellt haben. 68 Prozent gaben sogar an, dass ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet sei. Das war im März 2023. Befragt hatte der Verband 2.427 ambulanten Pflegediensten, Heimen und Tagespflegeeinrichtungen.
Anhand der sogenannten IK-Nummern (Institutionskennzeichen) ermittelt beispielsweise die Webseite „Pflegemarkt.com“ regelmäßig die Schließungen und Insolvenzen von Pflegediensten, Pflegeheimen und Tagespflegen. Den Daten zufolge sind allein im vergangenen Jahr bundesweit 142 Pflegeheime, 431 Pflegedienste und 24 Tagespflegen dicht gemacht worden. 6.477 vollstationäre Plätze und 265 Plätze in der Tagespflege hätte das gekostet. Und: Die geschlossenen Pflegedienste hätten der Auswertung zufolge insgesamt 22.624 Patienten versorgt.
Für die Seniorinnen und Senioren aus Velbert und für ihre Angehörigen geht es nun darum, ein neues Zuhause zu finden. Die Heimaufsicht des Kreises fasst in einer Liste freie Heimplätze zusammen. „In der aktuellsten Liste können 117 freie Plätze in der Umgebung angeboten werden“, teilte der Kreis Mettmann auf Nachfrage am Dienstag mit. Aus dem Seniorenheim Velbert müssen 102 Bewohner ausziehen.
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